Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Vampirfilmen aus.
„Noch weiter. Weiter als die Entstehungszeit des Kinos.“
„Dann sind wir bald beim richtigen Dracula “, warf Bülent ein.
„Genau. Hier will ich unsere Recherchen ansetzen. Einer von uns liest Dracula , nicht komplett natürlich, sondern nur die Stellen, die uns interessieren. Dieses Buch hat so gut wie keine Vorläufer, die es nachahmt. Und vielleicht wusste der alte Bram Stoker tatsächlich mehr, als die Literaturkritik vermutet hätte.“
„Und wie willst du bei den Infos die Spreu vom Weizenbier trennen?“
„Wir dürfen uns nicht allein auf Bram verlassen. Vielleicht war er ja wirklich nur ein Romanautor. Das müssen wir in Betracht ziehen. Also brauchen wir noch mehr Quellen ... noch ältere.“
„Dazu müsste man in eine Bibliothek gehen“, wandte Valeska ein. „Wie soll das gehen, mitten in der Nacht?“
„Das ist ein Problem“, gestand Lea, „zu dessen Lösung ich auf Bülent gehofft hatte.“
Der Angesprochene nickte. „Hut ab. Wenn ich ein Zehntel deines Gedächtnisses hätte, könnte ich mich wahrscheinlich noch daran erinnern, wie's im Mutterleib so war.“
„Wovon sprecht ihr?“, wollte Lucy wissen.
„Bülent hat sich mal ein paar Bücher aus dem Internet geholt. Na ja, Internet ist nicht so ganz richtig ...“
„Okay okay, ich denke, in diesem Kreis kann ich das ruhig zugeben, Lea. Also, ich habe mir die kompletten Bände der drei Fragezeichen runtergeladen von einem Server der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, wo alle in deutscher Sprache veröffentlichten Bücher landen. Zu diesem Server hatte ich ... na ja, jedenfalls war er eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Gehörte zu einem Pilotprojekt namens 'Deutsche Digitale Bibliothek': Immer mehr Bücher sollen komplett eingescannt und digital aufbewahrt werden. Das macht man aus drei Gründen: Erstens um sich neue Kunden in unserem Alter zu sichern, die sonst nie einen Fuß in eine Bücherei setzen würden, wohl aber ins Internet. Für diese Kunden – also auf lange Sicht bei allen Jugendbüchern – braucht man zweitens gar nicht mehr die richtigen, papiernen Bücher aufzuheben, was eine Menge Lagerkosten spart. Und drittens ...“
„... gibt es eine Menge Bücher“, führte Lea den Satz fort, „die über kurz oder lang verrotten werden und nicht mehr ersetzbar sind. Seit damals in Weimar diese Bibliothek abgebrannt ist und fünfzigtausend Bücher aus fünf Jahrhunderten entweder verbrannten oder sich im Löschwasser auflösten, wurde das jedem schmerzlich bewusst, der beruflich mit so was zu tun hat.“
„Deshalb gibt es im Rahmen dieses Pilotprojekts zwei Bereiche, aus denen seit einiger Zeit wie blöd Bücher eingescannt und abgespeichert werden: Erstens Jugendbücher. Von wegen Geldverdienen. Zweitens alte Schinken, weil Erhaltung unseres kulturellen Erbes bla bla.“
„Und diese Schinken suchen wir“, schloss Lea. „Bülent kann sich noch einmal in der Deutschen Bibliothek einhacken und alles runterladen, was mit unserem Thema zu tun hat. Und das natürlich auch mitten in der Nacht.“ Sie grinste triumphierend.
„Moment“, wandte Valeska ein, „die Deutsche Bibliothek kenne ich ja noch aus meiner Studienzeit. Sie sammelt alle in deutscher Sprache erschienenen Werke, aber doch erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert, nicht wahr? Für Antiquitäten ist sie überhaupt nicht zuständig.“
„Seit 1913“, erwiderte Lea, „ich war so frei, das auf deren Homepage vorhin nochmal nachzulesen. Ich meinte nämlich ebenfalls, mich daran zu erinnern, dass dort nur moderne Bücher liegen. Aber Bülent hatte mir ausdrücklich von Antiquitäten und Jugendbüchern erzählt. Also habe ich danach gesucht, was er meinen könnte, und bin auf die AG Sammlung Deutscher Drucke gestoßen.“
„Nie gehört.“
„Ich aber“, rief Bülent aus, „der Name tauchte auf dem Bibliotheksserver auf, in den ich mich einhackte.“
Lea fuhr fort: „Sechs große Bibliotheken, die sich zusammengetan haben, um eine komplette Sammlung von allem zu erstellen, was jemals in deutscher Sprache veröffentlicht worden ist. Jede der sechs ist für eine spezielle Epoche zuständig. Das kühnste Projekt dieser Art, das es je gab! Daher haben also die Frankfurter ihre alten Schinken zur Digitalisierung. Wenn du Glück hast, musst du dich noch nicht mal einhacken – ihr Copyright ist vor Jahrhunderten abgelaufen, viele Scans kann man ganz legal aus dem Netz ziehen.“
„Ooooch …“ Bülent grinste.
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