Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
begann der Arm zu kribbeln.
Nein, dachte sie, nur das nicht. Nicht jetzt. Bitte nicht. Ich habe nur noch diesen einen! Bitte nicht! Das kann nicht sein! Wir sind gescheitert, gescheitert! Was haben wir uns bloß vorgemacht, gegen diese Bestie gewinnen zu können? Wir haben ...
Ihre bewussten Gedanken traten immer weiter in den Hintergrund, als die Panik zurückkehrte wie ein alter, persönlicher Feind, den man begrüßt, bevor man ihn bekämpft. Das Kribbeln wurde schwächer, während jegliches Gefühl aus dem Arm schwand. Sie versuchte ihn zu bewegen.
Nichts.
Dann schrie auch sie.
89. Kapitel
Es war, als könne sie immer dort bleiben, an diesem weit entfernten Ort, ihren Körper zurücklassen, er würde ohne sie weiterleben. Das war es wohl, was man Verrücktwerden nannte, wenn sich der Geist einfach aus dem Körper verabschiedete, aber war das so schlimm? Dieses zuckende Etwas dort unten, warum sollte sie dort wieder hinein, ohne Körper lebte es sich überhaupt viel angenehmer, ja, sie würde ihren Körper zurücklassen und hier oben weiterleben, schön war es hier, unten zuckte der Körper sinnlos herum, rannte hierhin und dorthin in wilder Flucht vor sich selbst, seiner Lähmung, so sinnlos, sie würde einfach hierbleiben, und ...
... und ihr Vater ...
Sie zwang sich zu denken. Dachte an ihren Vater. Versuchte sich sein Bild vorzustellen. Sich einen Grund zu geben, um wieder in diesen Körper zurückzukehren, wie angeschlagen und versehrt er auch sein mochte. Lieber sterben als aufzugeben!
Aber es war so schön hier, sie wollte nicht in diesen Körper zurück, sie wollte hierbleiben, und der Körper würde doch auch ohne sie leben, oder nicht?
Versuchen, Lea. Du musst es versuchen. Du musst dorthin zurück! Du bist kurz davor durchzudrehen, aber vielleicht kannst du es noch einmal verhindern. Vielleicht kannst du noch einmal zurückkehren. Für Papa! Für Bülent! Und für Lucy und den armen Kommissar Ritterbusch!
Das zitternde Häuflein, das ihr Körper war, schien näher zu kommen. Plötzlich öffnete sie die Augen und registrierte, dass sie die Welt wieder aus ihrer eigenen Perspektive sah.
Sie lag am Boden. Bülent kauerte in einer Ecke des Raumes und wimmerte.
Palazuelo stand in der Mitte, die Fäuste in die Hüften gestemmt, dieses entsetzliche Grinsen immer noch auf seinem Gesicht.
„Es war mir ein außerordentliches Vergnügen“, sagte er zu ihr, als er merkte, dass ihre Augen geöffnet waren, „aber jetzt muss ich dieses Kapitel leider beenden. Sag dem Leben adiós , kleines Menschlein. Du hast mehr Schneid als dein Vater, das muss ich dir lassen, aber dafür bist du noch viel dümmer als er!
Ich werde euch jetzt töten. Das ist nicht persönlich gemeint, nur eine notwendige Routinemaßnahme.“
Er packte in Ruhe sein Notebook zusammen, verstaute es unter dem Schreibtisch und öffnete dann die Tischplatte. Darin lag ein Degen, der Lea an die alten Zorro-Filme erinnerte.
„Aber ich werde es mit Stil tun, kleine Lea. Das bin ich einer Gegnerin schuldig, die es immerhin geschafft hat, sich über Tage hinweg meinem Zugriff zu entziehen.“
„Sie wollten mich schon töten, als ich in Frankfurt war?“
„Doña Elisa schlug vor, dich zurück zu deinem jämmerlichen Vater zu bringen, aber ich war der Ansicht, dass dein Tod eher dazu geeignet war, die Probleme zu lösen, die wir mit ihm hatten. Wie auch immer, darauf kommt es jetzt nicht mehr an.“
Er hob den Degen und baute sich über ihr auf.
Sie schloss die Augen.
Die Klinge sirrte durch die Luft, als plötzlich das Zimmer erbebte. Millimeter vor Leas Kehle kam die Waffe zum Stehen, Palazuelo hielt inne. Es war ein einziger Ruck gewesen, wie bei einem kurzen Erdbeben, mit einem tiefen, grollenden Ton, die Regale hatten gewackelt, und einige Ordner waren herausgefallen.
Der Spanier sah sich um. Er blickte zu der Tür, durch die Lea, Bülent und Ritterbusch den Raum betreten hatten; dann zu der anderen, gegenüberliegenden. Von dort schien es zu kommen.
Wieder bebte und grollte die Erde. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Lea, auf Palazuelos Gesicht so etwas wie tiefen und ehrlichen Respekt zu sehen.
„Xaphan“, murmelte er.
Im nächsten Augenblick zeigte er wieder sein zähnefletschendes Lächeln, so als sei ihm gerade eine wunderbare Idee gekommen. Eine geniale Idee. Eine höchst belustigende Idee.
Er nahm den Degen von Lea weg und steckte ihn in seinen Gürtel.
„Ich werde euch eine Chance geben“, sagte er
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