Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
mit heuchlerischer Liebenswürdigkeit, „Leonardt befindet sich etwa achtzehn Meter Luftlinie in dieser Richtung.“ Er deutete auf die Tür, aus der das Grollen gekommen zu sein schien. „Ich selbst werde mich jetzt entschuldigen. Neue Aufgaben warten auf mich, dringende Termine außerhalb der Stadt. Aber ihr dürft gewiss sein, dass ich großen Anteil an eurem Schicksal nehme.“
Er verbeugte sich tief, ging zurück zur Eingangstür, öffnete sie trotz seines vorherigen Zauberspruchs ohne Probleme und war verschwunden.
Lea versuchte aufzustehen, aber es gelang ihr nicht. Beide Arme waren bis zum Schultergelenk bewegungslos, wie zwei Stoffschlangen, die ihr jemand ans Hemd genäht hatte.
„Bülent?“, rief sie fragend.
„Ja?“, kam es leise zwischen den Wimmerlauten zurück.
„Wie geht es dir?“
„Blendend, verdammte Scheiße!“
„Glaubst du, du wirst es schaffen?“
„Was schaffen? Was schaffen, verdammt nochmal? Ich will nur noch hier raus! Ich brauch ein Krankenhaus! Meine Hand ... hier ist alles Matsch ...“ Seine Stimme versiegte in einem Schluchzen.
„Ich will auch raus, Bülent. Mit 'schaffen' meine ich nur das blanke Überleben. Alles andere wird sich finden.“ Wenn sie auch noch keine Ahnung hatte, wie es sich finden sollte.
„Warum ist Palazuelo gegangen?“, fragte Bülent, der offenbar das Gespräch nicht mitgehört hatte.
„Er sagte, er wolle uns eine Chance geben. Mein Vater sei hinter dieser Tür, achtzehn Meter Luftlinie.“
„Dann lass uns hingehen, ihn holen und abhauen.“
Lea schüttelte traurig den Kopf. „Verstehst du denn nicht? Wenn Palazuelo uns dorthin schickt, dann kann das nur heißen, dass da irgendetwas lauert, das uns auf noch viel grausamere Weise töten wird, als selbst er das könnte.“
„Haben wir eine Alternative?“ Der Jammerton schwand allmählich aus seiner Stimme, Lea merkte, wie sehr er sich bemühte, die Schmerzen zu unterdrücken.
Wieder schüttelte sie den Kopf. „Momentan schaffe ich es noch nicht einmal aufzustehen.“ Mit einem Ruck versuchte sie sich erneut zu erheben, fiel wieder zurück, nahm noch einmal Schwung und schaffte es in eine sitzende Position.
„Na also“, sagte Bülent, „man soll die Hoffnung nie aufgeben.“ Er stand auf und lief in gekrümmter Haltung durch das Zimmer, die verletzte Hand an sich gepresst. Lea war froh, dass sie diese Hand nicht allzu deutlich sehen konnte.
„Meinst du, Ritterbusch hatte Verbandszeug dabei?“
Er griff in die Taschen des Polizisten und fand ein großes Stofftaschentuch, das er um seine linke Hand wickelte. „Danke, du armer Teufel“, sagte er, „obwohl ich wetten möchte, dass wir dich noch beneiden werden. Wenn ich's nicht schon tue.“
Lea war inzwischen ebenfalls aufgestanden.
„Was machen wir jetzt?“, fragte sie.
„Was können wir schon tun? Etwas sagt mir, dass die Tür, durch die der Hurensohn verschwunden ist, für uns immer noch verriegelt sein wird. Während sich die andere hundertprozentig problemlos öffnen lässt.“
„Das denke ich auch.“
„Dann müssen wir wohl mitspielen.“
„Bülent?“
„Ja?“
Sie ging auf ihn zu und lehnte sich an seine breite Brust. Automatisch hielt er ihren Kopf mit seiner unverletzten Hand.
„Als das alles angefangen hat, habe ich dir versprochen, dass wir keine Freunde werden müssen.“
„Stimmt, das hast du.“
„Das heißt aber nicht, dass wir nicht trotzdem Freunde werden könnten, wenn ... es sich einfach so ergibt, oder?“
„Nein“, erwiderte er leise und streichelte ihren Nacken, „nein, das heißt es nicht.“
„Wenn wir jetzt dort hineingehen, werden wir wahrscheinlich sterben.“
„Das können wir momentan nicht ganz ausschließen.“
„Darf ich ... deine Freundin sein?“
Trotz der Schmerzen musste er lächeln. „Und ich?“, gab er zurück. „Darf ich dein Freund sein?“
Sie nickte stumm.
„Dann lass uns jetzt gehen, Freundin.“
Langsam, unwillig löste sie sich von ihm und ging zur Tür hin.
„Öffnest du sie für mich?“
„Natürlich.“ Er drückte die Klinke, und die Tür schwang auf.
Im selben Moment blieb beiden vor Staunen der Mund offen stehen.
90. Kapitel
„Ich weiß ja nicht, was ich erwartet habe, aber das hier auf jeden Fall nicht“, stellte Bülent fest, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte.
Lea sah sich um. Auch dieser Raum war voller Ordner, aber sie wirkten merkwürdig vergilbt und unwirklich. Und mit den Aufschriften stimmte
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