Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
das Geprassel der Flammen hinweg.
„Mein Vorgesetzter?“, erwiderte er fragend. Von seinem Kopf waren Augenlider, Lippen und Nase bereits verbrannt, übrig blieb ein groteskes Totenschädelgrinsen. „Nun, ich bin normalerweise dem Direktor unmittelbar unterstellt. Für die Dauer dieses Projekts ist jedoch die Abteilungsleiterin Frau Zimmer für die Supervision meines Aufgabengebietes zuständig. Ich fürchte allerdings, dass die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde nicht vorgesehen ist, falls Sie damit liebäugeln sollten.“
„Was muss ich tun, damit du uns durchlässt?“
„Nichts leichter als das. Sie müssen lediglich noch ... achtundzwanzig Minuten warten.“
„Ich muss sofort zu Elsa Zimmer! Sie wird dir böse sein, wenn du uns nicht zu ihr lässt!“
„Ich fürchte, Frau Zimmer hat jenseits dieser Beschwörung keinerlei Kompetenzen, irgendwelche Disziplinarmaßnahmen gegen mich zu verhängen, insofern ist ihre persönliche Gefühlslage nicht von Belang für die Erfüllung meines Arbeitsvertrages.“
Lea bat ihn, sie bettelte, flehte, drohte, schrie, aber alles blieb fruchtlos. Die Flammen kreisten sie langsam ein.
Da gab sie auf.
Langsam, wie in Zeitlupe, ließ sie sich auf die Knie sinken. Unmittelbar vor ihr loderte das alleszerfressende Feuer.
„Es ist nicht fair“, sagte sie ruhig, „es ist einfach nicht fair.“
Dann ließ sie sich vornüber in die Flammen fallen.
91. Kapitel
Elisa stand lächelnd vor dem großen Säuresee und betrachtete das Geschehen auf der Inselplattform.
Dort lag Johannes Leonardt, bewusstlos, während farbige Blitze und Leuchtspuren um ihn herum wirbelten, durch Nase, Ohren und Mund in ihn eindrangen und wieder austraten. Das waren die Gleißenden Dämonen, Geistwesen, die fähig waren, den freien Willen eines Untoten förmlich auszusaugen, ihn zu einem Roboter zu machen, der ihr, Elsa, aufs Wort gehorchen und all seine Energie in ihren Dienst stellen würde.
Man konnte dieses Ritual auch an Sterblichen anwenden, aber es war in der Regel nicht notwendig; sie ließen sich auch anderweitig einschüchtern oder gefügig machen. Selbst bei Vampiren wandte man es nicht oft an, da es recht umfangreiche Vorbereitungen benötigte und mit fünfzehneinhalb Stunden auch lange dauerte. Überdies waren die Gleißenden Dämonen sehr eigene kleine Kreaturen; wenn man sie zu oft herbeizwang, konnte es sein, dass sich ihr Zorn gegen den Beschwörer richtete. Alle zwanzig Jahre waren in etwa ein angemessenes Intervall, um sie herbeizurufen, häufiger nicht.
Das letzte Mal hatte sie das Ritual 1968 durchgeführt, in Moskau, wo sie gern gesehener Gast in der Zentrale der KPdSU gewesen war. Der Prager Frühling hatte ihre Geschäfte in der Stadt durcheinander gebracht, und es war notwendig geworden, die alte Ordnung und den Gehorsam gegenüber den Autoritäten – insbesondere ihrer eigenen Autorität – wieder herzustellen.
Der Generalsekretär der KPdSU, der vier Jahre zuvor Chruschtschow auf diese Position gefolgt war, hatte zunächst sogar insgeheim mit bestimmten Ideen der Protestierenden sympathisiert und war jedenfalls weit davon entfernt gewesen, sowjetische Panzer nach Prag zu schicken. Also hatte sie, angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit und der herausgehobenen Position des Mannes, das Ritual gewirkt, um Leonid Breschnew von ihren Interessen zu 'überzeugen'.
Drei Tage später rollten die Panzer.
Und nun war es also wieder soweit, hier lag der Untote Johannes Leonardt, den sie unter ihrer absoluten Herrschaft brauchte.
Julio war ein Narr. Selbst Leonardts Tochter war eine Närrin, die das Potential ihres Vaters nicht erkannte. Leonardt selbst hatte es noch nicht vollständig erfasst. Nur sie, Elisa, wusste darum.
Es war schwer vorauszusehen, was für ein Vampir aus einem Menschen wurde. Bei Julio schien es nur folgerichtig zu sein, dass ein so mächtiger Untoter aus einem entsprechend mächtigen Sterblichen entstanden war. Meistens verhielt es sich auch so. Aber es gab Ausnahmen.
Leonardt schien eine solche Ausnahme zu sein.
Sie hatte ihn beobachten lassen. Er, das Küken, bewegte sich mit der Schnelligkeit und Agilität eines jahrhundertealten Vampirfürsten. Noch schien er nicht ganz verstanden zu haben, welche Kraft ihm nun zur Verfügung stand, aber er hatte sie einige wenige Male eher versehentlich demonstriert. Elisa war sicher, dass er unter ihrer kundigen Anleitung bald die Gestaltwandlung zur Fledermaus oder zum Wolf lernen
Weitere Kostenlose Bücher