Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
verstaubten kleinen Garderobenzimmerchen gar nicht erst aufkommen wollten.
Lea lächelte. Ihr großer Auftritt war ganz nah.
„Jetzt gehen die Lichter aus“, flüsterte Hans zu seiner Frau und atmete leise auf. 20:30. Wenn Lea bald an der Reihe war, würde er es noch schaffen.
„Ich sehe es, Schatz. Ich sitze neben dir“, erwiderte sie ironisch.
„Jetzt wird er bald kommen“, brummte Palazuelo, während er den Vorhang beiseite hielt und durch das Fenster auf die abendliche Straße sah. So viele Menschen ... sie sahen appetitlich aus, gut genährt die meisten, viele auch ganz drahtig. Es wäre so interessant gewesen, einmal deutsch essen zu gehen.
„Danke, Julio. Wir werden verfahren wie besprochen.“
Er sah sie voll bitterer Enttäuschung an. „Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr ihm den Tod gewähren wollt? Meines Erachtens sollten wir ihn wie einen normalen sterblichen Geschäftspartner behandeln. Die Ewigkeit ...“
„Du wirst noch heute Nacht die Drei Berührungen an ihm vornehmen, Julio. Ich beabsichtigte von Anfang an, so vorzugehen. Es tut mir leid, wenn du etwas anderes erwartet hast.“
Palazuelos Augenbrauen zogen sich düster zusammen, aber er nickte nur stumm und verbeugte sich leicht.
Den Tod gewähren, das war etwas ganz anderes als jemanden einfach umzubringen.
Im Gegenteil, es bedeutete das ewige Leben. Es bedeutete, einen Sterblichen in die Finsternis zu holen.
Die Drei Berührungen waren der erste Schritt dorthin.
Allmählich wurde das Lampenfieber unangenehm. Je näher ihre Quiz Show rückte, umso nervöser wurde Lea. Eigentlich hätte sie um diese Zeit schon alles hinter sich gehabt. Aber nicht nur, dass sie eine ganze Stunde später angefangen hatten, jetzt belagerte auch noch die Projektgruppe HipHop-Band die Bühne, ließ sich von den Eltern der Musiker feiern und gab eine um die andere Zugabe.
Lea war kein allzu großer HipHop-Fan. Es nervte sie, dass in fast jedem Videoclip der großen US-Rapper halbnackte Girlies mit dem Hintern wackeln mussten, und die Kombination aus hart gerappter Strophe und sanft gesungenem Kitsch-Refrain, die seit Ewigkeiten in immer neuen Spielarten die Hitparaden heimsuchte, hing ihr definitiv zum Hals heraus. Mit manchen Adaptionen alter Hard-Rock-Klassiker konnte sie sich noch anfreunden; die Rap-Version von „Walk This Way“ hatte sie sogar auf CD. Aber wenn sie die Wahl hatte, blieb sie auch hier lieber bei den Originalen. Aerosmith waren mit diesen ganzen selbst ernannten „Gangstaz“ einfach nicht vergleichbar. Und Gruppen wie Korn oder Linkin Park waren die legitimen Nachfolger auf dem Olymp des wahren Rock. Und nicht Black Eyed Peas und Rihanna und wie sie alle hießen.
Kein Wunder also, dass es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, bis die Jungs in den zu weiten Hosen endlich von der Bühne kamen. Als sich der Vorhang geschlossen hatte und die AG Bühnenbild bereits die Quizstühle heranrückte, wagte sie einen letzten Blick ins Publikum.
Der Sitz zwischen ihrer Mutter und Herrn Winckelmann war leer.
Hans Leonardt stieg in den alten Ford Taunus und fluchte dabei laut auf alles, was ihm einfiel: den Sturm, die Schule, das Bürgerhaus, das Datum, die Uhrzeit ...
Er drehte den Zündschlüssel und fluchte abermals, weil er mal wieder vergessen hatte, vorher die elektronische Wegfahrsperre in ihre Fassung zu schieben. Vielleicht hat Theo recht, dachte er frustriert, wenn ich übertriebenes Sicherheitsdenken so sehr hasse, sollte ich wohl lieber Mühle oder Dame programmieren.
Nur dass ihn dafür niemand bezahlen würde.
Er versuchte sich damit zu trösten, dass dies sein letzter großer Auftrag – DER Große Auftrag – werden würde. Verdammt, schließlich tat er das doch nur für seine Familie, warum sollte er sich dann dafür von ebendieser Familie zum Buhmann erklären lassen? Sollten sie doch ihr eigenes Geld verdienen, wenn sie ihm nicht erlaubten, gewissenhaft und kompetent seiner Arbeit nachzugehen!
Lea atmete schwer, als sie draußen auf dem Parkplatz stand und gerade noch die roten Lichter des Ford um die Ecke verschwinden sah. Sie brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen; es waren zwar nur hundert Meter gewesen, aber diese Strecke war sie mit aller Kraft gerannt, die ihre Beine hergaben. Immerhin musste sie eigentlich sofort auf die Bühne. Aber vorher musste sie einfach wissen, ob er noch da war. Ob er vielleicht einfach zur Toilette gegangen war. Ob er im Foyer stand und noch etwas zu trinken
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