Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Arme am Boden. Beide atmeten schwer. Unterhalb seines linken Auges zeichnete sich eine grün-gelbliche Verfärbung ab, die schnell an Intensität gewann.
„Lässt du mich jetzt endlich in Ruhe?“, fragte er schnaufend.
Lea sagte nichts. Sie starrte ihn mit leeren Augen an. Sie spürte, wie das altbekannte, furchtbare Gefühl in ihr heraufkletterte. Ihre Hände wurden kalt. Ihre Füße kribbelten. Bedrohung! Sie versuchte sich seinem Griff zu entwinden, aber es gelang ihr nicht. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte sich nicht bewegen.
„Bülent, lass mich sofort los, sonst ...“
„Willst du mir drohen? Versprich mir erst, dass du---“
Weiter kam er nicht. Mit einem unmenschlichen Schrei und einer plötzlichen Kraft, von der weder Bülent noch sie selbst wusste, woher sie kam oder warum sie auf einmal da war, stieß sie ihn von sich herunter. Frei! Aber die Panik war noch nicht vorüber. Bedrohung! Sie konnte nichts mehr denken als dieses eine Wort, nichts mehr fühlen als diese wilde Panik. Sie schlug um sich und hörte wie von weitem das Klirren und Krachen von Glas und Holz, sah die Glassplitter und die Stühle, die durch die Luft flogen, hörte das dumpfe Pochen, als sie einen menschlichen Körper getroffen hatte, roch das Blut, das aus ihrer mit Glasscherben gespickten Rechten floss. Und dann rannte sie los, weg von hier, weg, weg, weg, die Panik ließ nicht nach, es wurde immer schlimmer, sie musste weg, Bedrohung , raus hier---
31. Kapitel
„Das hatten wir schon lange nicht mehr, Lea, nicht wahr?“ Dr. Brenner saß hinter seinem Schreibtisch und kratzte sich am Ohr. Von draußen drang gedämpft das Raunen der Patienten im Wartezimmer durch die geschlossene Tür, und Lea hatte das Gefühl, alle redeten nur über sie, die Verrückte.
„Sie haben die Akten, nicht ich“, entgegnete sie. Sie mochte Brenner nicht besonders, er hatte einen Schnurrbart wie ein Walross und roch nach Zigaretten. Aber er war seit vielen Jahren der Hausarzt ihrer Eltern, und in einem Nest wie Eschersbach war die Auswahl ohnehin nicht so groß.
„Wenn ich das richtig sehe, war dein letzter Anfall vor … fünfeinhalb Jahren, am 28. März. Damals gingst du noch in die Grundschule.“
„Deshalb hat mich im Gymnasium auch noch niemand für verrückt gehalten, höchstens für ein bisschen komisch. Aber jetzt dürfte die Schonzeit vorbei sein.“
„Jugendliche haben oftmals Probleme, wenn einer ihrer Mitschüler erkrankt. Sie können schlecht damit umgehen, auch weil es ihnen klarmacht, dass sie selbst einmal eine solche Krankheit haben könnten.“
„Verschonen sie mich mit Ihren Psycho-Weisheiten. In der Schule bin ich jetzt die Irre vom Dienst, das wissen Sie genau. Warum ist doch egal.“
Er winkte ab. „Das wird sich wieder geben. Spätestens in ein paar Wochen haben die ein anderes Thema, über das sie sich die Mäuler zerreißen können. Und dann wirst du sozial wieder ebenso gut eingebunden sein wie zuvor.“
„Sehr tröstlich.“ Wie gut war das schon? Außer Lucy hatte sie keine wirklich gute Freundin gehabt, und Lucy war nun auch auf Distanz gegangen.
„Du solltest dir keine allzu selbstzerstörerischen Gedanken machen“, wandte Brenner ein, als ob er die ihren gerade gelesen hätte, „der Begriff Irresein wird zwar gelegentlich noch verwendet in der Medizin, aber auf deinen Fall trifft er definitiv nicht zu. Du hast ein sehr eindeutiges Krankheitsbild, bestimmbar und meiner Ansicht nach behandelbar. Na schön, ich hätte gedacht, dass es sich mit der Pubertät geben würde; es ist häufig so, dass sich in der Pubertät Dinge ändern, auch krankheitsbedingte. Man bekommt neue Allergien oder wird die alten los, all solche Dinge.“
Oder man bekommt einen Vampirvater, dachte Lea. Musste wohl mit der Pubertät zusammenhängen. Ob das auch behandelbar war?
„Wie kam es eigentlich zu dem Streit, der deinen Anfall ausgelöst hat?“
„Ein ... Mitschüler hat meinen Vater beleidigt.“
„Du hängst sehr an deinem Vater, nicht wahr?“
„ Nein! “, rief sie aus. „Ich meine ... es ist nicht einfach zu erklären.“
„Möchtest du versuchen, es zu erklären?“
„Nicht jetzt.“ Und nicht dir, Walross.
„Hast du denn jemand anderen, mit dem du darüber reden kannst?“
„Sie wollen es um jeden Preis aus mir herausquetschen, was?“
„Ich möchte, dass du wieder gesund wirst, Lea. Wenn du große Probleme hast, kann sich das negativ auf die Entwicklung deiner Akinetophobie
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