Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
wie ein Clown!“, schimpfte sie ihr Spiegelbild an. „Alles leuchtet in den bescheuertsten Neonfarben! Wie zum Teufel macht man das, ohne gleich wie eine Nutte auszusehen?“
Wieder wusch sie sich gründlich ab und griff unglücklich nach dem Kajal. Sie wog ihn lange zögerlich in ihrer Hand; dann legte sie ihn wieder weg.
„Ihr könnt mich alle mal“, zischte sie. Dann eben die vornehme Blässe. Timm würde sich damit begnügen müssen.
Vielleicht gab es ja noch andere Wege, sich etwas schicker zu machen, überlegte sie. Dann hatte sie einen Einfall.
Sie wog ihre langen, gewellten Haare in den Händen. Sehr lang, gewiss. Um nicht zu sagen lang weilig .
„Warum habe ich eigentlich immer noch diese Kleinmädchenfrisur?“
Wieder öffnete sie den Schrank. Es hatte zu den Sparmaßnahmen des letzten Jahres gehört, dass Hans nicht mehr zum Friseur gehen durfte. Valeska hatte ihm seither die Haare geschnitten (ob es stimmte, dass bei Vampiren die Haare nicht mehr weiterwuchsen?) und sich dafür eigens eine Friseurschere angeschafft. Hier war sie schon! Lea ließ sie ein paar Mal auf- und zuschnappen.
Dann dachte sie an den Lippenstift und das Rouge. Mit einer Schere würde sie keinen zweiten Versuch haben.
Ein Blick in ihre Geldbörse offenbarte, dass ein Friseurbesuch den anschließenden Abend in der Kneipe in Frage stellen würde.
Sie biss die Zähne zusammen.
Dann befahl sie sich entschlossen: „Da musst du jetzt durch, Mädchen.“
33. Kapitel
Timm Winckelmann war zur selben Zeit unterwegs zu seinem Freund Oliver, um dort für die Matheklausur nächste Woche zu lernen. Zumindest hatte er das seiner Mutter gesagt. Oliver, dessen Eltern heute Abend ins Theater gegangen waren, wusste Bescheid und hatte sich schon mal ein paar Rechenaufgaben zurechtgelegt, aus denen er zitieren konnte, falls ein Kontrollanruf erfolgte.
Als Timm – zum ersten Mal in seinem Leben – die Snare Drum betrat, spürte er den wohligen Schauer des Verbotenen. Er stellte sich seinen Eltern selten entgegen, und dass er ihnen gegenüber eine Notlüge erfinden musste, war eine vielleicht unrühmliche Premiere gewesen. Aber er hatte sich schon in dieses Mädchen verliebt, als er eben erst begonnen hatte, sich überhaupt für diese seltsamen Wesen zu interessieren. Ein paar Jahre lang hatte er das mit sich herumgetragen und zu niemandem ein Wort gesagt, außer zu seinem Tagebuch, und das hielt er streng unter Verschluss.
Er hatte stumm gelitten in diesen Jahren, und seine einzige Genugtuung war die, dass Lea sich offenbar aus den anderen Jungs auch nicht mehr machte als aus ihm.
Und nun hatte er sich endlich getraut, sie anzusprechen, und obwohl sie zunächst abgelehnt hatte, war dann dieser rätselhafte Anruf gekommen. Bei Lea schien es immer irgendetwas Rätselhaftes zu geben.
Er setzte sich an einen Tisch und zuckte zusammen, als eine Frau mit einem Tablett vor ihm stand, weil er dachte, sie würde ihn hinauswerfen oder seinen Ausweis verlangen oder Ähnliches. Aber sie fragte ihn nur, was er trinken wollte.
Trinken. In Kneipen sollte man immer etwas trinken, richtig. Aber was?
„Was gibt es denn?“, fragte er unschuldig und sah sich unvermittelt mit einer Aufzählung von Namen konfrontiert, deren Großteil er noch nie gehört hatte. Mittendrin rief er einmal „Ja, das nehme ich“ und sah der Frau nach, als sie wieder hinter der Theke verschwand. Sie hatte eine gute Figur. Wie lange war das jetzt her, dass ihm die Figur einer Frau auffiel? Zwei Jahre? Drei? Vorher war alles so klar gewesen, Jungs waren Jungs und Mädchen waren igitt, und die Jungs trafen sich und spielten Fußball, und die Mädchen hatten Puppen oder irgend so was.
Und plötzlich war da dieses Bild in einer Zeitschrift gewesen, die Sängerin Aaliyah in einem Kinofilm, sie war ein Vampir oder so etwas Ähnliches und räkelte sich in einem so spärlichen Kostüm, dass Timm gezwungen war, seine Einstellung zum anderen Geschlecht radikal zu überdenken.
Seitdem war nichts mehr wie zuvor. Plötzlich gab es Bedürfnisse, die es vorher nicht gegeben hatte. Und irgendwie schienen Mädchen mit der Lösung dieser Bedürfnisse zu tun zu haben. Zwar hatte Timm recht bald verstanden, dass er sich zeitweilig auch selbst helfen konnte, wenn wieder solche irritierenden Bilder auftauchten. Aber hinter dieser Selbsthilfe lauerte das unausgesprochene Versprechen, dass es mit einem Mädchen noch viel schöner sein würde, romantischer, prickelnder. Und vielleicht
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