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Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)

Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)

Titel: Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Balzter
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Schulcafé in seine Einzelteile zerlegt habe?“
    Er lachte kurz. Dann fuhr er zögerlich fort: „Nun, es ist ... weil du halt immer alles weißt und dir alles merkst. Das nervt auf Dauer ein bisschen. Die anderen, meine ich.“
    „Ist das meine Schuld? Es ist eben einfach so. Wenn ich mir etwas ansehe, dann ist es, als ob mein Gehirn ein Foto davon macht. Das wird irgendwo gespeichert, und wenn ich es wieder abrufe, sieht es noch genauso aus. Ich dachte als Kind, das sei normal.“
    „Du bist eine wandelnde Digitalkamera“, sagte er mit unsicherem Lächeln.
    „Nicht ganz. Ich weiß meistens noch ganz gut, wer wann was gesagt hat oder wie irgendetwas aussah. Aber ich kann nicht einen flüchtigen Blick auf eine Schulbuchseite werfen und sie hinterher Wort für Wort aufsagen. So praktisch das auch wäre.“
    „Es muss auch so schon sehr praktisch sein.“
    „Wie man's nimmt. Es gibt da einen Unterschied. Etwas, um das ich jede Digitalkamera beneide.“
    „Zoom? Blitzlicht?“
    „Wäre auch nett. Aber ich meine etwas viel Nützlicheres.“
    „Keine Ahnung. Sagst du's mir?“
    Da war wieder das Gesicht ihres Vaters in ihrem Kopf. Und wie seine Augen größer wurden, sein Mund, seine Zähne, wie er brüllte und sie aus dem Zimmer rannte, und dann das Bild, wie er vor ihr saß und seine Wunde am Hals befühlte, sie war zu spät gekommen, zu spät, und ihr Vater war tot.
    „Auf der Kamera“, sagte sie leise, „kann ich Bilder, die mir nicht gefallen, jederzeit wieder löschen.“
    Timm schwieg einen Moment.
    „Was für Bilder denn?“, fragte er schließlich.
    „Auf einem davon ist mein Vater zu sehen.“ Sie musste es erzählen! Jetzt! Hier! Sofort! Wenigstens ein bisschen von der Wahrheit. „Er ist sehr wütend ... er reißt den Mund auf ...“ Aber wie beschrieb man eine absolut unmögliche Szenerie, ohne sich unglaubwürdig zu machen? „Er wirkt wahnsinnig bedrohlich.“ Jedes Wort kam ihr vor, als würde sie versuchen, mit dem Vokabular eines Urlaubskataloges den Dritten Weltkrieg zu beschreiben. Die Wirklichkeit war einfach anders, ganz anders. Aber wie konnte man sie mitteilen? „Er steht auf und schreit mich an, so sehr, dass ich Angst habe. Und ich renne hinaus. Seitdem ... ist alles sehr schlimm geworden.“
    „Das tut mir leid. Das ist sicher sehr schwierig.“ Er machte eine längere Pause. „Übrigens finde ich's cool, dass du ungeschminkt ausgehst. Die anderen Mädchen malen sich immer so an, wenn man sie abends sieht. Das sieht voll unnatürlich aus.“
    „Ah.“ Er wollte sie trösten, sie von ihrem Kummer ablenken. Das mochte lobenswert sein, aber es half ihr nicht weiter. „Hast du nie Ärger mit deinen Eltern?“, fragte sie, um zum Thema zurück zu gelangen.
    „Ein bisschen.“ Er blickte zur Seite. „Als ich fünf war, bin ich von zuhause weggelaufen.“
    „Zartes Alter für so was.“
    „Ich bin auch nicht weit gekommen. Am Abend fanden sie mich weinend in den Maisfeldern hinter unserem Grundstück. Ich hatte gedacht, je weiter ich von den Menschen weg komme, desto besser wird es mir gehen. Das war auch so – bis ich Hunger bekam.“
    „Du hättest nach Frankfurt gehen sollen. Da gibt's spezielle Notunterkünfte für Jugendliche, erinnerst du dich? Wir hatten das mal in PoWi, als es um die Sozialsysteme ging. Da würde ich hin, wenn ich abhaue! Nicht in ein blödes Maisfeld.“
    „Als Fünfjähriger hatte ich aber noch kein PoWi. Weißt du was? Du hast einen richtigen Lockenkopf bekommen dadurch, dass du deine Haare abgeschnitten hast. Ich habe deine endlos langen Haare immer ... na ja, ein bisschen angehimmelt. Konnte dich mir gar nicht anders vorstellen. Aber es sieht toll aus. Reifer.“
    „Timm ...“
    „Ja?“
    „Die anderen, weißt du, die mich sowieso schon ein bisschen komisch fanden ... die trauen mir seit heute Morgen wohl erst recht nicht mehr über den Weg, oder?“
    Er zuckte die Schultern. „Ist mir egal, was die sagen. Obwohl ...“
    „Was denn?“
    „Eins hat mich ja schon beeindruckt. Du kennst doch Henri aus der elften Klasse, oder? Der immer so viel mit Kampfsport macht?“
    „Nein. Was hat er denn gesagt, das dich so beeindruckt hat?“
    „Er hat gesagt, mit dem Bums, den du heute Morgen drauf hattest, hättest du locker einen totschlagen können, wenn er dir im Weg gestanden hätte. Und du hättest es noch nicht mal gemerkt.“
    Lea wurde blass. „Ich ... glaube, ich muss gehen.“
    „Habe ich was Falsches gesagt? Bitte, das war doch

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