Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
der Tür drehte sich der Spanier noch einmal um. „Sie werden von nun an nie wieder das Wort an mich richten, ohne dass ich Sie direkt dazu auffordere, Leonardt. Ich habe gesagt, ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Über nichts in der Welt. Aber eines will ich Ihnen trotzdem verraten. In meinen Augen sind Sie ein jämmerlicher Schwächling. Sie klammern sich an Ihre wirren Gefühlsduseleien, anstatt die wahre Macht Ihres jetzigen Ichs zu erkennen und zu nutzen. Ich möchte, dass Sie eines wissen: Der einzige Grund, warum Sie noch am Leben sind, ist, dass Doña Elisa offensichtlich immer noch großes Vertrauen in Ihre Arbeit setzt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich Sie längst zerquetscht wie die von Fäulnis befallene Frucht, die Sie für mich sind. Beten Sie also darum, dass Sie Elisas Protektion nie verlieren werden. Aber wenn Sie weiter Ihre Zeit mit romantischem Kitsch verschwenden, anstatt sich mit Ihrem Auftrag zu befassen, wird Ihnen alles Beten nichts mehr nutzen. Dann werde ich bei Ihnen sein. Und in Ihren letzten Stunden wird Ihnen Ihr jetziger Zustand wie das Paradies auf Erden erscheinen, und sie werden sich fragen, warum Sie nicht die Gelegenheit ergriffen und Ihre Chance genutzt haben. Diese Frage wird Sie in Ihr endgültiges Grab begleiten, Leonardt. Also setzen Sie sich auf Ihren Arsch und bringen Sie uns Ergebnisse. Ich hoffe, ich habe mich deutlich ausgedrückt. ¡Adiós! “
Das leise Klicken des Schlosses, nachdem er das Zimmer verlassen hatte, wirkte in der Stille bedrohlicher als ein lauter Türenknall.
„Deutlich genug“, flüsterte Hans Leonardt.
Und dann fasste er einen Entschluss.
35. Kapitel
Nicht weniger unglücklich als ihr Vater streunte Lea durch die Neujahrsnacht, die ihr in diesem Jahr so viel kälter und dunkler erschien als in all den anderen, den normalen Jahren, in denen sie noch glücklich und zufrieden gewesen war. Wenn sie doch damals ihr Glück zu schätzen gewusst hätte! Stattdessen hatte sie sich gegrämt, weil ihr Vater nun mal arbeiten musste und nicht immer Zeit hatte. Aber war sie sich nicht dennoch zu jeder Zeit sicher gewesen, dass er sie liebte, auch wenn ihn die wirtschaftlichen Verhältnisse immer wieder an seinen Schreibtisch zwangen?
Um wie viel schlechter war nun alles geworden, wie sehr beneidete sie ihr vergangenes Ich, wie sehnte sie sich danach, noch einmal die dreizehnjährige Lea zu sein, die noch Ziele gehabt hatte, Hoffnungen und ... und einen Vater.
In der Woche, die seit Heilig Abend vergangen war, hatte sie kaum etwas gegessen. Alle Speisen, die sie betrachtete, schienen ihr entgegenzuschreien: Blut! Blut! Er trinkt Blut! Wie kannst du essen, wenn er Blut trinkt?
Gestern, am letzten Tag des Jahres, hatte sie dann in einem Heißhungeranfall fünf Teller Erbseneintopf in sich hineingeschlungen und nach zehn Minuten wieder erbrochen.
Vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts blieb sie stehen und betrachtete ihre Reflektion in der Scheibe. Sie hatte wieder den eleganten braunen Mantel ihrer Mutter angezogen, als ob sie eine Verabredung hätte. Aber die hatte sie nicht. Sie wollte niemanden sehen, mit niemandem reden. Auch nicht mit Timm, der zwar immer noch nett war, aber bei ihren Gesprächen vor lauter Lobeshymnen auf sie überhaupt nicht dazu kam, ihr wirklich zuzuhören.
Auf ihrer Stirn bemerkte sie eine Falte. Ihre Wangenknochen standen hervor, sie hatte an Gewicht verloren, vielleicht fror sie auch deshalb so erbärmlich. Ein paar Straßen weiter, vom Marktplatz her, hörte sie das Gejohle der anderen.
Die Anderen. Wie sinnvoll und treffend ihr plötzlich dieser Ausdruck erschien. Wie anders sie war.
Vielleicht würde sie jetzt einfach verhungern. Dann würden die Anderen ihre Ruhe vor ihr haben. Keiner würde sich mehr mit ihr, der Seltsamen, abgeben müssen. Und sie hätte ihrerseits Ruhe vor dem unlösbaren Problem, wie man einer Bestie begegnen konnte, die das Gesicht des eigenen, nicht mehr existierenden Vaters hatte.
Seit Weihnachten hatte sie alle Hoffnung verloren.
Aber stimmte das?
Sie wohnte immer noch mit ihm unter einem Dach, obwohl sie das blutverschmierte Maul des Ungeheuers gesehen hatte.
Aber noch hatte er keinen Menschen getötet. Er mochte jemanden verletzt haben – das Blut an seinen Lippen sprach Bände – aber etwas in ihr weigerte sich schlichtweg zu glauben, dass er jemanden töten konnte, dass er wirklich alles vergessen hatte, was einst Mensch in ihm gewesen war.
„So
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