Das Rosenhaus
gelernt hatte, und er erzählte
ihr zunächst von seiner Zeit in den USA , ließ sich von ihren sanften,
schlehenfarbenen Augen dann aber dazu verleiten, von den regelmäßigen
Urlaubsreisen mit seinen Eltern zu erzählen. Sechs Jahre hintereinander waren
sie immer an den gleichen Ort in Katalonien gefahren, als er noch klein war.
Seine Eltern hatten Spanien geliebt, und diese Liebe lebte in ihrem
einzigen Sohn fort. Seit dem Tod seiner Eltern war er jedoch nicht mehr dort
gewesen, aus Angst, der Zauber des Landes könnte mit seinen Eltern gestorben
sein.
Doch während sie miteinander sprachen, war plötzlich alles wieder so
präsent, und die lebhaften Erinnerungen taten gar nicht weh. Liam freute sich,
als er erfuhr, dass Anna nicht nur den kleinen Ort Caldetes, in dem sie immer
gewohnt hatten, kannte, sondern sogar sein Lieblingsrestaurant auf der Plaza
Mayor, und dass dieses Lokal immer noch existierte und immer noch von derselben
Familie betrieben wurde.
Liam hatte seit über zehn Jahren nicht mehr über diese Zeit in
Spanien geredet, seine Kindheitserinnerungen hatte er immer ganz für sich
behalten. Nicht einmal Lily wusste davon.
Annas Begeisterung und Herzenswärme hatten ihn angesteckt, und er
versprach ihr, unbedingt irgendwann einmal nach Caldetes zurückzukehren. Auf
diesen Gedanken war er vorher noch nie gekommen, aber auf einmal schien ihm
dieses Vorhaben extrem wichtig zu sein.
Lächelnd kehrte er an den Tisch zurück, geschoben von einer
lächelnden Anna.
Lily beobachtete die beiden und freute sich, dass es jemand
geschafft hatte, den alten Liam hervorzuholen, und dass dieser alte Liam fürs
Erste der Alte blieb: ausgeglichen, entspannt, freundlich. Sie wünschte sich
nur so sehr, dass sie dem Geheimnis auf die Spur käme und selbst den Schlüssel
zu seiner wankelmütigen Seele hätte.
Der Rest des Abends war sehr angenehm, aber auch kurz, denn Liam
musste irgendwann einräumen, dass er nicht mehr länger bei ihnen am Tisch
sitzen konnte.
Spontan schlug Lily vor, statt des Desserts noch einen Kaffee bei
ihnen zu trinken.
Peter sah Liam fragend an.
»Von mir aus gerne«, entgegnete der entspannt. »Was meinst du,
Lily?«
»Von mir kam doch der Vorschlag.«
»Stimmt. Na, dann ist ja alles klar. Magst du Schokolade, Wendy? Ich
habe nämlich ungefähr achttausend Schachteln Pralinen zu Hause. Das ist einer
der Vorteile, wenn man krank ist: Man erhält einen nicht enden wollenden Strom
von Süßigkeiten und frischem Obst.«
»Ich liebe Schokolade.«
»Super. Ich glaube auch nicht, dass wir es gutheißen könnten, dass
Peter sich mit jemandem zusammentut, der keine Schokolade mag. Also los,
Schumacher, hilf mir in meinen Ferrari und schieb mich nach Hause.«
Lily kochte Kaffee, während Liam sein Pralinenlager
plünderte.
Peter führte Wendy durch das Haus, dann setzten sich alle in Liams
als Wohnzimmer dienendes Arbeitszimmer. Die beiden Frischverliebten saßen dicht
nebeneinander auf dem Sofa, hielten Händchen und schauten sich sogar dann in
die Augen, wenn sie eigentlich mit Liam oder Lily sprachen. Lily fiel auf, wie
Peter Wendy immer dann, wenn er etwas sagte, ansah, als heische er nach ihrer
Zustimmung. Sie war fast schon neidisch, als er Wendy in Lilys und Liams
Anwesenheit sogar küsste. Und sie seufzte traurig und freudig berührt, als sie
ihre Hände eng miteinander verflochten, weil schlichtes Händchenhalten ihnen
nicht ausreichte.
Sie blickte zu Liam hinüber.
Wir waren auch mal so zueinander.
Wir haben uns mal gemocht. Uns begehrt.
Wir waren auch mal ganz selbstvergessen, wenn wir zusammen waren.
Und aufgeregt.
Ach, wie schön doch eine junge Liebe war. Süß wie eine reife Frucht,
makellos und unverdorben, voller naiver, schöner Hoffnungen, Aufregung,
Vorfreude. Köstlich.
Der Anblick löste Sehnsüchte in ihr aus.
Auch Liam beobachtete die beiden.
Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Und dann spürte er, wie die
chronischen Schmerzen in seinem Bein wie von Zauberhand verschwanden – sich
einfach in Luft auflösten.
Er war immer völlig fasziniert, wenn das passierte.
Es passierte jetzt allerdings immer seltener, und eine Erklärung für
das Phänomen war noch nicht gefunden worden.
Es war schön und schrecklich zugleich.
Sein Bein war dann immer taub, wie tot. Es schlief.
Und auch Liam nickte, endlich vorübergehend schmerzfrei, auf seinem
Rollstuhl ein.
Behutsam weckten sie ihn wieder auf.
Es war ihm peinlich, in der Gegenwart seiner Freunde
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