Das Rosenhaus
mehr.«
»Wirklich?« Sie wirkte ehrlich überrascht und höchst erfreut.
»Ja, im Ernst. Obwohl es natürlich noch einen ganzen Haufen
Detailfragen gibt, die ich dir gerne stellen würde.«
Wendy grinste.
»Was willst du wissen?«
»Na, alles«, antwortete Lily ebenfalls grinsend. Sie lachte.
»Das dürften wir in fünf Minuten abgehakt haben. Ich bin Lehrerin,
wie Peter dir sicher schon erzählt hat, oder?«
Lily nickte.
»Ja, hat er, und er hat erzählt, dass du in Cornwall geboren bist.«
»Genau. In Tregavethen, in der Nähe von Truro. Das war, bevor die
Industrie- und Gewerbegebiete anfingen, wie Pilze aus dem Boden zu schießen.
Wir sind dort weggezogen, als ich sieben war.«
»Nach Manchester. Weiß ich von Peter.«
Wendy nickte.
»Meine Mutter und die Jungs leben immer noch dort, in Southport,
aber mein Vater lebt jetzt in Südafrika.«
»Die Jungs?«
»Ich habe vier Brüder.«
»Vier?«, staunte Lily.
Sie nickte.
»Na ja, drei sind eigentlich nur Halbbrüder. Meine Eltern haben sich
getrennt, als ich vierzehn war, und meine Mutter hat zwei Jahre später wieder
geheiratet. Sie war ziemlich jung, als sie mich bekommen hat, und ihr Mann
Adrian ist fünf Jahre jünger als sie. Er hatte noch keine Kinder.«
»Wow, vier Brüder?«, wiederholte Lily.
Wendy grinste.
»Yes. Vier. Nicholas ist sechsundzwanzig, Alexander fünfzehn, Adam
zwölf, und James ist zehn.«
»Und wie alt bist du?«
»Achtundzwanzig.«
Warum kam ihr das so verdammt jung vor, sie war doch selbst nur
wenige Jahre älter?
Als Lily achtundzwanzig war, war sie schon fast zehn Jahre mit Liam
verheiratet gewesen.
Hatte sie zu jung geheiratet?
Sie waren so verliebt gewesen.
Lily stockte der Atem.
Waren gewesen?
Sie schüttelte diese Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf
Wendy.
»Du bist also die Älteste.«
»Hmhm. Darum bin ich wahrscheinlich Lehrerin geworden. Ich bin es
gewöhnt, mit einer Horde frecher Kinder umzugehen. Und du? Hast du
Geschwister?«
»Nein, ich bin Einzelkind.«
»Genau wie ich.«
Sie sahen auf. Es war Peter, der sich wieder zu ihnen setzte.
»Obwohl Liam schon so etwas wie ein Bruder für mich ist.«
»Du liebst ihn wie einen Bruder, und trotzdem hast du ihn allein in
der Toilette zurückgelassen?«, witzelte Lily und kaschierte damit ihre
intuitive Sorge um Liam.
»Natürlich nicht.« Peter amüsierte sich. »Liam ist da drüben und
schmeißt sich an eine der Kellnerinnen heran.«
Blitzschnell drehte Lily sich um und sah, wie die junge Spanierin,
die sonst im Windenhaus arbeitete, Liam zum Tisch zurückschob.
»Das ist Anna. Sie arbeitet in Abis Galerie.« Lily staunte nicht
schlecht, als sie die dunkle Schönheit nicht nur lächeln, sondern auch wie
einen Wasserfall plappern sah. »Wo sind die sich denn über den Weg gelaufen?«
»Ach, die Kleine hat auf Spanisch vor sich hin geflucht und sich zu
Tode erschrocken, als Liam ihr im Vorbeigehen antwortete.«
»Er spricht Spanisch?«, fragte Wendy.
Lily nickte.
»Er hatte drei Jahre Spanisch in der Schule, und als wir in den USA lebten, hatte die Firma, für die er arbeitete, viele Spanisch sprechende
Kunden, sodass er noch mal einen Intensivkurs belegte. Er spricht die Sprache
ziemlich gut, hat aber nur selten Gelegenheit, sie anzuwenden.«
Lily sah sich noch einmal nach den beiden um und staunte über die
Gefühle, die sich in ihr regten.
Liam sah aus, als würde er sich wirklich amüsieren.
Wenn sie und er so miteinander umgehen könnten, wäre es ein
perfekter Abend.
Annas älterer Bruder Marcello hatte mit sechzehn einen
Motorradunfall gehabt und war seither von der Taille abwärts gelähmt. Er war
jetzt sechsundzwanzig und verheiratet und hatte zwei großartige, schwarzäugige
Söhne, in die Anna vollkommen vernarrt war. Marcello und seine Frau Jacy
betrieben östlich von Barcelona ihre eigene Bar. Er hatte nie zugelassen, dass
seine Behinderung sein Leben bestimmte oder gar ruinierte, und so war es für
Anna und ihre Familie völlig normal geworden, ein Familienmitglied im Rollstuhl
zu haben.
Das alles wusste Liam natürlich nicht. Ihm fiel nur auf, dass dieses
spanische Mädchen tatsächlich mit ihm sprach und
nicht versuchte, so zu tun, als habe sie das Monstrum, in dem er saß, gar nicht
bemerkt. Natürlich hatte sie es bemerkt, aber erst, nachdem sie ihm ins Gesicht
gesehen hatte. Und für sie war der Rollstuhl ganz offensichtlich einfach ein
Teil von ihm und nichts Besonderes.
Sie fragte ihn, wo er so gut Spanisch
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