Das Rosenhaus
nachließ.«
»War er einsam?«
»Glaube ich kaum. Er hatte fünf Kinder und achtzehn Enkel oder so.
Er hatte immer irgendjemanden zu Besuch. Ich bin mit einem seiner Enkel zur
Schule gegangen, wir haben heute noch Kontakt.«
»Was ist mit dem alten Mann passiert?«
»Er ist gestorben.«
Sie nickte und runzelte die Stirn.
»Hier?«
»Nein, nein.« Nathan schüttelte den Kopf. »Er ist vor ungefähr vier
Jahren in eine Art Seniorenheim in Truro gezogen, und kurz danach war’s
vorbei.«
»Und das Haus blieb den Naturgewalten überlassen …«
»Ja, und dem Gericht.« Nathan nickte. »Es war ein ziemlich
langwieriger und komplizierter Prozess, weil ja alles unter fünf Kindern und
achtzehn Enkeln aufgeteilt werden musste. In der Zeit stand das Haus leer. Ich
finde es schön, dass sich jetzt endlich wieder jemand um die alte Hütte kümmert
… Ich habe schon immer gesagt, dass daraus eine richtige Perle werden könnte,
wenn nur jemand Zeit und Lust hätte, es zu restaurieren.«
»Schade, dass ich nur Ersteres habe«, seufzte Lily.
»Magst du das Haus etwa nicht?«, fragte er überrascht.
Sie zuckte mit den Achseln.
»Ach, das hat eigentlich nichts mit dem Haus zu tun …« Sie
schüttelte den Kopf, als wolle sie einen Gedanken loswerden. »Aber es geht ja
weiter … wir haben schon eine ganze Menge renoviert … Willst du es dir mal
ansehen? Es ist nicht ganz so geworden, wie wir es uns ursprünglich vorgestellt
hatten … Wir mussten ja auf Liams Zustand Rücksicht nehmen …« Sie hielt inne
und betrachtete das Haus. »Aber so langsam nimmt alles Gestalt an. Willst du es
dir ansehen?«
»Gerne.«
Mit der Küche hatte er sich ja bereits vertraut gemacht,
damit hielten sie sich nicht weiter auf.
Lily stellte ihre Kaffeebecher auf dem Esstisch ab, während er schon
vorging in den Flur, wo er die wunderbar renovierte Eichentreppe bewunderte,
die wie das Rückgrat des alten Hauses wirkte.
Als er sich nach Lily umsah, fiel sein Blick auf die offene Tür zu
seiner Linken.
Er konnte sich an das Zimmer erinnern. Vor allem an den großen
Kamin, an die für ein kornisches Haus hohen Decken und an das durch die großen
Fenster hereinströmende Licht.
Die Regale quollen über vor Büchern und DVD s, auf dem kleinen
Tisch stapelten sich Zeitschriften.
Doch er sah nur das Krankenhausbett, den Personenlifter, die Medikamente,
die Griffe, die er an der Badezimmerwand erkannte.
Ihr entging nicht, dass er durch die offene Tür in Liams Zimmer sah.
Er sagte kein Wort, aber sein Gesicht sprach Bände.
Auch Lily schwieg. Sie zog einfach lautlos die Tür zu.
Dann standen sie sich einen Moment sprachlos gegenüber.
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Erleichtert stellte sie fest, dass nicht Mitleid aus seinem Blick
sprach, sondern Verständnis.
»Alles wird besser werden«, sagte er mit fester Stimme.
»Ist nur vorübergehend«, entgegnete Lily wie üblich.
»Natürlich.« Er nickte.
»Soll ich dir auch oben zeigen?« Die Art, wie sie das sagte und
daraufhin leicht schwankend kehrtmachte, verriet ihm, dass der Gin noch wirkte.
»Wenn es okay ist?«
»Klar.«
Auf dem Weg die Treppe hinauf staunte er, wie modern und luftig das
alte Cottage durch die Renovierung geworden war, ohne dabei an Originalität
einzubüßen. Die Verwandlung war beeindruckend, aber aus Lily sprach nicht die
Spur von Stolz, als sie ihn herumführte. Sie war sachlich und hielt sich an
keiner Stelle zu lange auf.
Erst, als sie bereits ganz oben angekommen war und bemerkte, dass er
ihr nicht mehr folgte, drehte sie sich um. Er stand ein Stockwerk tiefer auf
dem Treppenabsatz vor einem Gemälde, das sie vor Kurzem aufgehängt hatte, und
betrachtete es nachdenklich.
»Nathan?«
»Was für ein großartiges Bild«, sagte er, ohne den Blick davon
abzuwenden.
»Wirklich?« Sie klang überrascht.
Er nickte begeistert.
»Es ist toll … So warme, lebhafte Farben.«
»Das war mein erster abstrakter Versuch. Normalerweise halte ich
mich eher an Realismus oder Impressionismus …«
»Du hast das gemalt?« Er drehte sich zu ihr um. Wenn Lilys
Selbstwertgefühl nicht so unterentwickelt gewesen wäre, hätte sie Bewunderung
in seinem Blick lesen können.
Sie nickte.
»Ich wusste gar nicht, dass du Künstlerin bist.«
»Ich bin keine … Ich meine, ich habe früher mal viel gemalt …«
»Früher? Jetzt nicht mehr?«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht und hielt ihn zurück, weiter
nachzubohren
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