Das Rosenhaus
Menschen, das Land, das Meer, die Luft.
» En plein air «, seufzte Lily in einem der
Ausstellungsräume, als pumpe sie selbst gerade puren Sauerstoff in ihre Lungen.
Schon nach zehn Minuten in dieser wunderbaren Umgebung sah sie nicht mehr ganz
so grau aus.
Nathan blieb an seinem Lieblingsgemälde hängen, während Lily völlig
selbstvergessen weiterschlenderte und immer neue, schöne Bilder entdeckte.
Nathan fand sie zwei Räume weiter wieder, wo sie das Aquarell eines blühenden
Gartens betrachtete. Das Lächeln, das er unterdrückt hatte, seit er ihre Bilder
wieder in der Kiste auf dem Dachboden verstaut hatte, kannte jetzt kein Halten
mehr.
»Gefällt dir das?«
Sie nickte. Sprachlos.
»Ist auch eines von meinen Lieblingsbildern. Die Darstellung des
Lichts erinnert mich an Tintoretto …«
»Die Künstlerin …«, murmelte Lily.
»Komm.« Sein Lächeln wurde immer breiter. »Im nächsten Raum hängt
noch eins von ihr, ein bisschen größer …«
Lily war schon unterwegs.
Er folgte ihr. Sie blieb vor einem Ölgemälde stehen, der Darstellung
eines Strandes in Cornwall, an dem einige Frauen den Fischern dabei zusehen,
wie sie ihren Fang an Land holen. Mit leichten Pinselstrichen und warmen,
lebhaften Farben ausgeführt, war Lily nicht nur von dem Motiv an sich angetan.
Sie entdeckte noch etwas ganz anderes auf dem Bild.
»Eloise Hampton-Andrews …«, las sie die Signatur vor. Sie drehte
sich zu Nathan um, der sich über das Staunen in ihren Augen amüsierte.
»Zufall?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Eloise. Meine Urgroßtante.«
»Ich bin so oft hier, weil es tolle Wechselausstellungen gibt, aber
diese Gemälde hängen immer hier, und ich kenne sie inzwischen in- und
auswendig. Als ich deinen Mädchennamen auf deinem Bild sah, habe ich mich
sofort gefragt, ob da ein Zusammenhang besteht.«
»Ich wusste gar nicht … Ich meine, natürlich wusste ich, dass sie
gemalt hat … Meine Großmutter hatte ein paar ihrer Ölgemälde im Wohnzimmer
hängen. Die fand ich schon als Kind wunderschön. … Und sie sind mit schuld
daran, dass ich später selbst mit dem Malen anfing. Aber mir wurde immer
gesagt, das sei nur ein Hobby von ihr gewesen, ich hatte keine Ahnung, dass …
dass sie eine Verbindung zu Cornwall hatte … dass sie hier gelebt hat … dass
einige ihrer Werke sogar ausgestellt sind, und ausgerechnet hier …«
»Sie verbrachte den Sommer 1892 in St. Ives und zog dann an die
andere Küste«, las er aus der biografischen Angabe neben dem Gemälde vor, »und
das folgende Jahr verbrachte sie in Newlyn, bevor sie schließlich nach London
zurückkehrte …«
»… wo sie unter die Fittiche ihres Bruders, meines Urgroßvaters
Alexander, kam«, beendete Lily den Satz.
Nathan lächelte.
»Siehst du, du bist nicht die Erste in der Familie, die Cornwall zu
ihrer Wahlheimat macht … Wenn auch nur für kurze Zeit.«
Lily nickte nachdenklich.
»Ich habe das Gefühl, dass ihr künstlerisches Talent nicht gern
gesehen war. Meine Großmutter hat mal erwähnt, dass Eloise für die damaligen
Zeiten ziemlich wild gewesen war, und ich glaube, sie wurde verheiratet, um sie
irgendwie zu bändigen.«
»Um aus ihr eine weniger freigeistige und weniger unkonventionelle
Künstlerin zu machen?«
»Genau.«
»Und, hat es funktioniert?«
»Vielleicht. Ich habe das alles bis heute gar nicht gewusst. Und das
an sich ist ja schon traurig genug. Ob sie wohl glücklich war?«
»Glücklich?«
»Na ja, sie wurde zu einem anderen Leben als dem, das sie sich
gewünscht hatte, gezwungen … Wir haben heutzutage so viele Möglichkeiten, und
wir bestimmen selbst über unser Leben … Für uns ist das alles
selbstverständlich.«
»Stimmt. Wir können tun und lassen, was wir wollen.« Er nickte. »Man
vergisst das manchmal. Wir bewegen uns in einem Tempo durch dieses Leben und
diese Welt, werden hier und da manipuliert, aber letztendlich liegen die
Entscheidungen einzig und allein bei uns …«
22
A ls Liam und
Dylan nach Hause kamen, lag Lily bereits im Bett. Sie wollte sich vor ihnen
verstecken. Oder vor sich selbst. Sie wollte sich einfach nur unter ihre
Bettdecke verkriechen und so tun, als existiere sie gar nicht.
Sie hatte sich so lächerlich gemacht vor jemandem, den sie kaum
kannte. Aber Nathan war so freundlich zu ihr gewesen. So geduldig. Als wenn sie
es wäre, die krank sei und Pflege bräuchte. Vielleicht war ihr deswegen alles
so peinlich.
Als sie das Schlagen von Autotüren und laute Stimmen
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