Das Rosenhaus
und zu fragen, warum sie nicht mehr
malte.
»Gut«, sprach er betont fröhlich weiter und trat von dem Gemälde
zurück. »Dann mal weiter. Was ist da oben?«
»Nichts.«
Das Dachgeschoss war ungenutzt. Boden und Wände waren renoviert
worden, es roch noch nach dem Holzlack und der Wandfarbe. Der Raum war leer bis
auf ein paar noch immer verschlossene Umzugskartons, in denen Teile ihres alten
Lebens lagerten.
Die einzigen Farbkleckse inmitten dieser Nacktheit waren das
strahlende Blau und Grün, auf das man durch die Giebelfenster blickte.
»Das hier wäre ein perfektes Atelier«, murmelte er, als er sich auf
der Fensterbank abstützte und die Schönheit in sich aufsog wie den Duft eines
Parfums. Er drehte sich wieder zu ihr um und wagte es.
»Würdest du mir noch mehr von deinen Bildern zeigen?«
Er sah ihr an, dass sie am liebsten Nein gesagt hätte, aber ihr
Blick schoss kurz zu einer großen Holzkiste in der Ecke des Raumes.
Sie sah, dass er ihrem Blick folgte.
Schluckte.
»Darf ich?«
Er öffnete die Kiste, bevor sie sich überlegt hatte, wie sie Nein
sagen könnte, ohne dabei unhöflich oder kindisch zu wirken. Er zog die
Leinwände heraus, die schon lange vor dem Umzug in dieser Versenkung
verschwunden waren.
»Die sind nicht besonders gut«, murmelte sie, doch er drehte sich
auf Knien zu ihr um, in jeder Hand ein Bild, und schüttelte den Kopf.
»Blödsinn.«
»Ja, das auch«, entgegnete sie.
Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.
»Du weißt genau, was ich meine.«
Sie blieb am Fenster stehen, rückwärts mit den Händen auf die
Fensterbank gestützt, und beobachtete ihn dabei, wie er sich jedes einzelne
Bild sehr genau ansah, dabei wenig sagte, aber umso häufiger nickte.
Ein Bild betrachtete er eingehender als die anderen, was allerdings
nicht an der farbenfrohen, lebhaften Darstellung einer Flusslandschaft lag,
sondern an der winzigen Signatur in der unteren rechten Ecke.
»L Hampton-Andrews?«, fragte er, unsicher, ob er die Schrift auf dem
Aquarell richtig entziffert hatte.
»Das ist mein Mädchenname. Meine Mutter ist die Einzige, die noch
die Bindestrich-Version verwendet. Ich beschränke mich eigentlich auf Andrews.«
Vorsichtig räumte Nathan die Bilder zurück in die Kiste.
»Lily Hampton-Andrews Bonner, ich bin beeindruckt. Und zwar nicht
nur von deinem Nachnamen, sondern von deiner Arbeit. Sehr gut. Du könntest
meine Mutter bitten, dich zu verkaufen.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie auch Menschenhandel betreibt.«
Er lachte.
»Du bist wirklich gut. Das weißt du hoffentlich?«
»War … vielleicht.« Sie gähnte.
Ihr Teint wirkte grau, ihre Augen müde.
»Wann kommen die anderen zurück?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich eher spät. Wenn Duncan Corday mit im
Spiel ist, wird es immer spät.«
»Ich möchte einen Ausflug mit dir machen.«
»Wohin?« Sein Ansinnen überraschte sie.
»Nach Penzance«, lautete die prompte Antwort.
»Warum?«
»Es gibt da etwas, was ich dir gerne zeigen möchte. Ein Museum. Ein
Kunstmuseum. Penlee House. Bist du schon mal da gewesen?«
»Nein, ich … Ich bin noch nicht besonders viel herumgekommen, um
ehrlich zu sein. Ich bin irgendwie nicht dazu gekommen …«
»Auch vor dem Unfall deines Mannes nicht?«
Sie sah ihn von der Seite an und erwiderte matt:
»Da war alles geschlossen.«
Er lachte laut auf, und auch sie lächelte.
»Hier macht im Winter so gut wie alles zu«, bestätigte er. »Was
glaubst du, warum meine Mutter und ich regelmäßig die Flucht ergreifen?
Bestimmt nicht nur, um nicht zu erfrieren.«
»Um nicht durchzudrehen?«
»So sieht’s aus. Es sei denn, man steht auf Einsamkeit.«
»Und das tue ich bestimmt nicht …«, murmelte sie.
»Wie bitte?«
»Nichts …«
»Also, was sagst du? Hätte dein Mann etwas dagegen, wenn ich dich
eine Weile entführe?«
Teilnahmslos schüttelte sie den Kopf.
»Er hätte bestimmt überhaupt nichts dagegen …«
»Solange ich dich wohlbehalten zurückbringe, ja?«
»Ich glaube kaum, dass er Bedingungen stellen würde.«
Der Geruch nach poliertem Holz und verblasster Pracht
sowie die ehrfürchtige Stille erinnerten sie an eine Kirche. Lily sog die
Atmosphäre gierig in sich auf. Schloss die Augen, um sie gleich wieder zu
öffnen und die sie umgebenden Wunder von Neuem zu entdecken.
Penlee House beherbergte Gemälde von Malern der Newlyn School, jener
Künstlergruppe, die es meisterhaft verstand, Cornwall in all seinen Facetten
einzufangen und darzustellen. Die
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