Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
Vom Netzwerk:
auf einem Holzschild gleich neben dem
Gartentor zu lesen. Aus dem verwilderten Garten, den stets zugezogenen
Vorhängen und dem vor durchnässter Reklame überquellenden Briefkasten schloss
Lily, dass dieses Haus unbewohnt war.
    Als sie Rose Cottage erreichte, ließ der Regen etwas nach, und weil
Lily noch keine Lust hatte, reinzugehen, setzte sie sich auf die niedrige
Trockenmauer, die die Grundstücksgrenze markierte, vergrub die vor Kälte blauen
Hände in den Jackentaschen, bohrte die Fersen in die nasse Erde und sah
blicklos aufs Meer hinaus.
    Wie so oft kreisten ihre Gedanken um Liam.
    Sie fragte sich, was er wohl gerade machte.
    Sie fragte sich auch, ob er jemals daran dachte, was sein neues
Leben eigentlich für sie bedeutete. Sie erinnerte sich an sein Versprechen,
dass sich im Falle eines Umzugs zwischen ihnen nichts ändern würde – oder dass
jede Veränderung nur eine Veränderung zum Guten sein würde.
    Sie lachte laut und bitter auf. So vieles hatte sich verändert, und
für sie ganz bestimmt nicht zum Guten. Im Gegenteil – alles, was ihr etwas
bedeutet hatte, hatte sie seither verloren, ihren Ehemann eingeschlossen.
    Nie zuvor hatte Lily Liam so konzentriert erlebt, so voller
Begeisterung für eine Sache. Er hatte immer schon hart gearbeitet, wollte in
dem, was er tat, immer der Beste sein, das lag in seiner Natur. Aber das hier
war etwas anderes. Früher hatte er immer ein gewisses Gleichgewicht gefunden,
ein Gleichgewicht zwischen seiner Arbeit und dem restlichen Leben, aber jetzt
ließ er sich ganz und gar von seiner Arbeit vereinnahmen. Diesem immensen
Projekt, das alles andere bedeutungslos werden ließ.
    Liam hatte in den schillerndsten Farben von ihrem neuen Leben auf
dem Land gesprochen: das Meer, lange, gemeinsame Strandspaziergänge, die gute
Seeluft und Freiheit. Er hatte ein perfektes Idyll gezeichnet, das der Realität
überhaupt nicht standhielt.
    Lily hätte nie gedacht, dass sie sich einmal so nach dem
schmutzigen, hektischen, schrecklich unpersönlichen London sehnen würde, wo der
Blick aus dem Schlafzimmerfenster der in eine schmale Gasse war, die tagsüber
von Kindern als Schulweg und nachts von Dealern als dunkle Ecke genutzt wurde.
    Das alles hatte sie eingetauscht gegen ein Haus, das sie am
Nachmittag mit offen stehender Hintertür verlassen konnte – und wenn sie
Stunden später wiederkam, hatte sich nichts verändert bis auf den Staub, den
der Wind in den Flur gewirbelt hatte. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, wie
Rot und Blau, wie Krieg und Frieden, wie Liebe und Hass. Und doch sehnte sie
sich so sehr nach dem Altbekannten, dem Vertrauten. Nach dem Leben und den
Menschen, die sie ihrem Mann zuliebe zurückgelassen hatte.
    Ausschließlich ihrem Mann zuliebe. Für sie hatte es keinen anderen
Grund gegeben.
    Er war glücklich hier. Wie eine Blume, die aus der Dunkelheit ans
Licht kommt, blühte er auf. Wenn man jemanden aufrichtig liebt, wünscht man
ihm, dass er glücklich ist – aber es gibt da doch immer noch einen kleinen,
egoistischen Teil, der nicht möchte, dass das Glück eine so große Veränderung
auslöst, dass der Geliebte irgendwann eine andere Richtung einschlägt als die,
die man jahrelang gemeinsam verfolgt hat.
    »Bin ich egoistisch?«
    Der Klang ihrer eigenen Stimme war ihr seltsam fremd und so piepsig
und unbedeutend inmitten dieser gewaltigen Landschaft. Sie dachte über ihre
eigene Frage nach, beobachtete das Kommen und Gehen der Schaumkronen und
erkannte, dass sie selbst sich auch verändert hatte.
    Und sie war mehr und mehr davon überzeugt, dass sie die Gegend hier
hasste.
    Ganz gleich, wie wunderschön sie eigentlich war. Ja, es war so
atemberaubend schön hier, dass sie am liebsten geheult hätte. Vor allem, weil
sie inmitten dieser Schönheit so mutterseelenallein war.
    Lily fühlte sich so einsam, dass sie glaubte, sich in Nichts
aufzulösen.
    Einsamkeit kann genauso an der Zuversicht und Zurechnungsfähigkeit
eines Menschen nagen wie das Meer an einer Küste. Und obwohl ihre Vernunft ihr
recht laut und deutlich sagte, dass es so nicht weiterging, weigerte ein
sturer, feiger Teil von ihr sich strikt, eine Entwicklung zuzulassen. Dieser
Teil versteckte sich hinter einem ganzen Gebirge aus Schuldzuweisungen, das
sich in ihrem Kopf aufgetürmt hatte.
    Liam hatte hierherziehen wollen – also musste Liam auch dafür
sorgen, dass es ihnen hier gut ging.
    Tief in ihrem Innern wusste Lily, dass diese Einstellung falsch war,
aber gleichzeitig spürte

Weitere Kostenlose Bücher