Das Rosenhaus
Haus parken sollte, steuerte sie das Ende der langen Reihe bereits
abgestellter Fahrzeuge an und schaltete den Motor ab.
»Sieht ja fast so aus, als hätten sie halb Cornwall eingeladen«,
stellte Lily fest.
»Peter ist noch nicht da … zumindest kann ich sein Auto nicht
sehen.«
»Sollen wir auf ihn warten und dann zusammen reingehen?«
»Du meinst, je mehr wir sind, desto weniger kann man uns anhaben?«
»So was in der Art, ja …« Lily stellte sich vor, wie viel leichter
es ihr fallen würde, das feine Haus gemeinsam mit Peter und Wendy zu betreten,
hinter denen sie sich zur Not verstecken konnte.
»Peter wusste noch nicht, wann sie hier sein könnten, sie mussten
heute beide arbeiten. Ich glaube nicht, dass wir auf sie warten sollten …«
Doch keiner von beiden machte Anstalten, auszusteigen.
Liam sah sie an. Ihm stand ins Gesicht geschrieben, dass er
eigentlich so viel sagen wollte, doch dann biss er sich auf die Lippe, richtete
den Blick auf das Haus, seufzte und schaute wieder zu ihr. Und dann sagte er
ganz schnell, als könnten ihm die Wörter entwischen, wenn er sie nicht sofort aussprach:
»Eigentlich will ich gar nicht da rein, Lily.«
»Ich auch nicht«, sagte sie, den Blick auf die imposante Fassade vor
ihnen geheftet. »Komm, wir verdrücken uns. Fahren nach Hause.«
Überrascht sah er sie an.
»Das können wir nicht machen … oder?«
Sie sah ihn an.
»Ich rufe an und sage, dass es dir wieder schlechter geht.«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
Sie nickte.
»Doch … Mein voller Ernst.«
»Wir können doch nicht … Wir dürfen nicht einfach …« Auch er sah zum
Haus. In fast jedem Fenster war Licht, sie konnten die Silhouetten der Gäste
dahinter sehen und sogar die Musik hören. »Das ist alles für mich. Wir können
doch nicht einfach wegbleiben.«
»Natürlich nicht …«
Schweigend sahen sie einander an.
Regungslos.
»Fahr los, bevor uns jemand sieht«, flüsterte Liam schließlich
heiser.
Das brauchte er ihr nicht zwei Mal zu sagen.
Ihre Hände zitterten, als sie den Zündschlüssel drehte. Sie wendete
und fuhr dann so sportlich los, dass die Reifen durchdrehten – so eilig hatte
sie es, von dort wegzukommen.
»Wohin?«, fragte sie, als sie den Torbogen der Einfahrt erreichten,
und fürchtete fast, er könne seine Meinung geändert haben und sie bitten, nun
doch zu Cordays Party zurückzufahren.
»Nach Hause«, lautete seine prompte Antwort.
»Sicher?«, zwang sie sich, nachzufragen. »Wenn du doch noch
hinwillst, kann ich gerne wenden …«
»Ganz sicher. Lass uns verschwinden.«
Als sie zum Rose Cottage zurückkamen, oblag es Lily, bei
Duncan Corday anzurufen.
Noch von unterwegs hatte Liam Peter informiert, und der war froh
gewesen, nun auch auf die Party verzichten zu dürfen. Jetzt zog er sich in sein
Arbeitszimmer zurück, während Lily telefonierte. Wie so oft in den letzten
Monaten sah er zum Fenster hinaus und genoss die abendliche Aussicht. Er konnte
nicht genug davon bekommen.
Er hörte Lilys Stimme am Telefon. Wie sie sich entschuldigte und
beschwichtigte.
Er staunte, wie überzeugend sie lügen konnte.
Sie staunte nicht weniger.
Vor allem, als Duncan Corday anbot, sofort zu kommen, falls sie
Hilfe brauchten. Lily versicherte ihm glaubhaft, dass Liam bereits ins Bett
gegangen war und jetzt einfach nur Ruhe brauchte.
Sie zitterte am ganzen Körper, als sie auflegte.
Marschierte geradewegs in die Küche, holte eine offene Flasche
Rotwein aus dem Schrank und schenkte sich ein Glas ein.
Als sie das Klicken von Liams Krücken hörte, drehte sie sich um.
»Alles klar?«
»Alles klar.« Genüsslich sog sie das Bukett des Weines ein.
»Wie hat er reagiert?«
»Besorgt. Ich habe jetzt ein richtig schlechtes Gewissen.«
»Möchtest du doch noch hin?«
Sie lächelte verkniffen, trank einen Schluck und schüttelte den
Kopf.
» So schlecht ist es dann doch nicht …«
»Gibst du mir was ab?« Er nickte in Richtung Weinflasche.
Verwundert sah sie ihn an.
»Ich habe heute keine Medikamente genommen«, beantwortete er ihre unausgesprochene
Frage. »Ich dachte mir nämlich, dass ich etwas Stärkeres als Dopamin brauchen
würde, um den Abend zu überstehen.«
»Ach, Liam …« Sie wollte ihn gerade schelten, biss sich dann aber
auf die Zunge. »Soll ich dir die Tabletten holen?«, fragte sie stattdessen.
»Eigentlich hätte ich viel lieber ein Glas davon.« Er nickte in
Richtung der Flasche. »Und außerdem soll ich die Schmerzmittel jetzt
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