Das Rosenhaus
mit
nach Penzance genommen in der Hoffnung, dass …« Er zögerte, weil er nicht recht
wusste, wie er es am besten sagen sollte. »Cornwall hat schon so viele
wunderbare Künstler inspiriert und beflügelt, unter anderem deine Urgroßtante,
und ich hatte die Hoffnung, dass es auch dich beflügeln könnte … Was ist los,
Lily? Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt, und ich glaube nicht, dass es
nur wegen Liam und seinem Unfall ist. Du wirkst immer so unendlich traurig, so
verloren … Ich mache mir Sorgen um dich.« Er verstummte, als er sah, dass ihr
Tränen über die Wangen liefen.
Sie stöhnte leise, ließ seine Hand los und wischte sich wütend über
das Gesicht. »Tut mir leid … Es nervt mich selbst, dass ich so schwach bin,
aber irgendwie … kann ich nicht …«
Offenbar hatte er wieder einmal einen wunden Punkt getroffen. Dieses
Mal war er fest entschlossen, sie nicht vom Haken zu lassen.
»Was ist los, Lily?« Sanft legte er ihr die Hand auf den Arm. »Bitte
…«
Doch sie schwieg.
»Manchmal hilft es, darüber zu reden«, fügte er hinzu.
Leeren Blickes sah sie ihn an.
»Das sagen alle.«
»Weil es stimmt. Denk an Abi: Geteiltes Leid ist kein Leid …«
»In meinem Fall funktioniert das aber nicht«, entgegnete sie leise.
»Allein der Gedanke daran tut schon so verdammt weh. Wie soll ich über etwas
reden, an das ich nicht einmal denken mag …«
Er hatte also Recht gehabt.
Etwas in ihr war zerbrochen. Er hatte die Risse erkannt, die sie
einfach nur übermalt hatte, ohne sie zu reparieren.
»Wann hast du es denn zum letzten Mal versucht?«, hakte er behutsam
nach.
»Passiert ist passiert, daran ändert auch langes Gerede nichts.«
»Das mag sein, aber manchmal kann es das, was passieren wird , ändern …«
Sie ließ den Blick zur Kante des Steilfelsens schweifen, ohne zu
begreifen, wie nah sie am Abgrund standen.
Seine Hand lag immer noch auf ihrem Arm und gab ihr Halt.
»Du musst loslassen, Lily … loslassen …«
Er konnte ihren tiefen Seufzer hören und spüren. Einen Seufzer der
Resignation.
Als sie endlich redete, klang ihre Stimme so leise und mechanisch,
als läse sie die Worte von einem Blatt Papier ab.
»Vor zwei Jahren, sechs Monaten und acht Tagen …« Sie geriet ins
Stocken und biss sich so fest auf die Lippe, dass diese ganz weiß wurde. Lily
schloss die Augen, holte Luft und nahm noch einen Anlauf. »Vor zwei Jahren,
sechs Monaten und acht Tagen haben Liam und ich ein Kind bekommen … einen Sohn.
Elf Wochen vor Geburtstermin. Er lebte nur siebzehn Stunden.«
Sie machte eine Pause, in der sie Nathan gequält ansah.
»Er hieß Daniel James Bonner … nach Liams Vater. Er war so
wunderbar, so perfekt … Aber er konnte nicht … Er schaffte es einfach nicht …
Es war zu früh …«
»Das tut mir unendlich leid, Lily«, sagte Nathan, und sein Blick
unterstrich sein aufrichtiges Mitgefühl.
Unkontrolliert strömten Lily die Tränen übers Gesicht.
Er handelte impulsiv – das einzig Richtige schien ihm in diesem
Moment zu sein, sie an sich zu ziehen und festzuhalten.
Zu seiner Überraschung fand sie sich widerstandslos in die
unerwartete Umarmung. Doch dann sah sie zum Haus, begann zu zittern und löste
sich wieder von ihm.
Ihr Blick ruhte auf ihm und nicht irgendwo in der Ferne, als sie
wieder sprach.
»Und ich male deshalb nicht mehr, weil …« Sie stockte und sah
wiederum kurz zum Haus. »Das Gemälde, das du gesehen hast … mein Gemälde … Du
findest es schön? Bewegend?«
Er nickte.
»Das habe ich an dem Tag gemalt, an dem ich erfuhr, dass ich
schwanger war. Es sollte zeigen … Es ist ein Ausdruck von …« Sie rang um Worte.
»Es spiegelt meine Gefühle an dem Tag wider. Meine unbändige Freude. Meine
Freude am Malen. Am Leben … Ich habe keinen Pinsel mehr angerührt, seit ich
Daniel verloren habe.«
Er sagte kein weiteres Wort.
Keine Mitleidsbekundungen.
Er nahm sie wieder in den Arm und drückte sie eine Ewigkeit an sich.
Auch als die Tränen versiegt waren und sie sich wieder beruhigt
hatte, lösten sie sich nicht aus der Umarmung.
Als die Sonne so weit über dem Meer stand, dass es eindeutig mehr
Tag als Nacht war, löste sie sich schließlich widerwillig von ihm und trat
zurück.
»Du musst los. Sonst verpasst du noch deinen Flug.«
»Ich will nicht weg …«
»Du musst aber«, sagte sie erstaunlich bestimmt.
Er nickte.
»Ich habe fest zugesagt.«
»Wann kommst du wieder?«
»Kommt drauf an … Vielleicht fliege ich
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