Das Rosenhaus
Morgen, staunte, dass es noch stockfinster war,
als sie die Augen öffnete, und ging ans Telefon.
»Lily?«
Es war Liam.
»Habe ich dich geweckt?« Seine Stimme klang schleppend. Im
Hintergrund hörte Lily leise Musik und Gespräche.
Sie warf einen Blick auf den Wecker.
»Es ist Viertel nach drei, Liam, was denkst du wohl?«
»Ja, äh, tut mir leid … Also, die Sache ist die, ich habe ein
bisschen zu viel getrunken und sollte besser nicht mehr fahren. Elizabeth …« –
er pausierte eine Millisekunde – »Duncan und Elizabeth waren so nett, mir für
heute Nacht ein Bett anzubieten. Also, für das, was von der Nacht noch übrig
ist. Ich hätte mir ein Taxi genommen, aber ich muss morgen ja sowieso wieder in
aller Herrgottsfrühe hier sein, von daher ist es wohl vernünftig, wenn ich
bleibe. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt …«
Er verstummte und wartete auf eine Erwiderung, aber die blieb aus.
»Ich sehe dich dann morgen nach Feierabend … Dir geht’s doch gut,
oder? In dem großen alten Haus, so ganz alleine?«
»Ich verbringe den größten Teil meiner Zeit ganz alleine in diesem
großen alten Haus, das hat dich bisher auch nicht weiter gestört«, entgegnete
sie leise.
Daraufhin schwiegen sie beide. Im Hintergrund hörte sie eine Frau
nach Liam rufen.
»Lass uns Schluss machen, Liam, dein Typ wird verlangt.« Sie wollte,
dass er wusste, dass sie die Frau gehört hatte.
»Lily, bitte …«
»Bitte was?«
Sie hörte, wie er einen Stoßseufzer machte.
»Nichts. Schlaf gut. Wir sehen uns morgen Abend …«
Und dann legte er auf und hinterließ nichts als das enervierende
Tuten in der Leitung.
Sie lag im Bett und starrte an die Decke. Kämpfte gegen die Tränen
an und gegen die Schlaflosigkeit. Vergeblich. Als die Neonziffern auf dem
Wecker vier Uhr dreißig anzeigten, stand sie auf und ging hinunter in die
Küche.
Sie machte kein Licht an, öffnete stattdessen den Kühlschrank und
begnügte sich mit dessen Beleuchtung.
Eigentlich hatte sie keinen Hunger. Aber in ihr herrschte wieder
diese seltsame Leere, die irgendwie gefüllt werden wollte. Sie wusste nur
nicht, wie.
In der Kühlschranktür fand sie einen Weißwein. Sie schnappte sich
die Flasche und ein großes Weinglas, schloss die windschiefe Hintertür auf und
ging hinaus auf die Terrasse.
Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Luft war schwer und kühl und
glich eher einem feinen Nebel, der sich über Land und Meer legte.
Lily hatte nur ihren Morgenmantel übergestreift und fror.
Von den Haken gleich neben der Küchentür griff sie sich die erste
Jacke, die sie zwischen die Finger bekam. Es war Liams. Eine dicke Wolljacke,
die er in London immer getragen hatte und die nun durch eine schwere grüne
Regenjacke ersetzt worden war, mit der er dem unberechenbaren Wetter in
Cornwall trotzte.
Sie zog sie an, spürte die Wärme. Atmete scharf ein. Die Jacke
duftete nach Liam. Sie zog sie eng um sich und stellte traurig fest, dass sie
sich Liam in den ganzen letzten Monaten nicht so nah gefühlt hatte wie jetzt.
Seufzend lehnte Lily sich an die feuchte Hauswand, schenkte sich
Wein ein und blickte hinauf zum Nachthimmel. Zu diesem pechschwarzen, nur von
Wolken befleckten Firmament. Ein ganz anderer Anblick als in London, wo die
vielen Stadtlichter das spektakuläre Dunkel schmälern. Der Gedanke an London
ließ Heimweh in ihr aufwallen. Warum hatten sie aus London wegziehen müssen?
Liam hatte zwei Wochen gebraucht, um sich nach Peters Besuch letzten Sommer
dafür zu entscheiden, sein Angebot anzunehmen und Teilhaber zu werden. Und dreimal
so lange, um Lily davon zu überzeugen, dass es ein guter Plan war.
Im Handumdrehen war ihr Haus einem Makler übergeben und verkauft
worden, und Liam war monatelang immer wochenweise nach Cornwall gefahren, um
die Arbeit mit Peter aufzunehmen, während Lily in London blieb und ihre Siebensachen
zusammenpackte.
Seit er damals gependelt war, hatte Lily das Gefühl, dass er sich
von ihr entfernt hatte.
Der alte Liam hätte sie niemals allein nach Hause geschickt und wäre
auch nie allein die ganze Nacht weggeblieben. Gut, vielleicht hatte sie einfach
nur Glück gehabt, aber so wurde die Veränderung jetzt nur noch deutlicher.
Die ganze Nacht wegbleiben.
Und dann direkt zur Arbeit gehen.
Mit einem Mal ging Lily auf, dass er nicht mal nach Hause kam, um
sich umzuziehen. Was nur bedeuten konnte, dass er frische Klamotten dabeihatte.
Was wiederum bedeutete, dass er die ganze Zeit geplant hatte,
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