Das Rosenhaus
Liam beäugte den einsamen, abgenagten Hühnerknochen auf dem Teller
und grinste.
»Schon okay, ich habe sowieso keinen Hunger.«
»Im Ernst?«, entgegnete Peter und verzog keine Miene. »Also, ich
verhungere gleich. Habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
Es war fast wie in alten Zeiten in Notting Hill, dachte
Lily, als Peter gleich um die Ecke wohnte und sie oft zu dritt am Küchentisch
beisammen saßen, lachten und redeten, die Sätze der anderen beendeten und sich
blöde Witze erzählten, die nur deshalb lustig waren, weil sie sie schon tausend
Mal zum Besten gegeben hatten. Ab und zu kamen auch mal andere Leute dazu,
wurden aber nie zu einem festen Bestandteil ihrer Runde, weil sie im Prinzip
einen Insider-Sprachcode entwickelt hatten, der andere auf Dauer ausschloss.
Da Liam noch nichts getrunken hatte, würde er später fahren. Lily
wurde von dem Sekt immer wärmer, sodass sie auch nach Einbruch der Dunkelheit
nicht fror, obwohl es deutlich kühler wurde. In dem parkähnlichen Garten gingen
automatisch immer mehr Lichter an und verwandelten Treskerrow in ein wahres
Märchenland. Je dunkler es wurde, desto mehr Gäste gingen ins Haus oder
verabschiedeten sich gleich ganz.
Peter gähnte, streckte sich und meinte, dass auch sie langsam gehen
sollten. Liam stimmte zu und schlug vor, dass sie alle drei nach Rose Cottage
fahren und es sich mit einer Flasche Wein gemütlich machen sollten.
»Ich hole nur eben meine Sachen von drinnen«, sagte Liam.
»Ja, ich auch«, erwiderte Peter, »meine Klamotten liegen in einem
der Schlafzimmer … Wenn ich nur wüsste, in welchem, dieses Haus ist ja so groß,
dass ich mich vorhin schon fast darin verlaufen hätte.«
Sie standen auf, und weil es anfing, leicht zu regnen, begleitete
Lily die beiden Männer zum Haus, wo sie sich im Eingang zum großen Saal
unterstellte.
Hier hatte sich der harte Kern der Party versammelt, hier standen
die, die immer ein paar Gläser mehr tranken, in Grüppchen zusammen, lachten und
redeten viel zu laut. Das Stimmengewirr und die Musik erfüllten den gesamten
Saal.
Lily hatte weder Lust, alleine herumzustehen, noch wollte sie mit
Menschen Small Talk halten, die sie nicht kannte. Darum verzog sie sich in den
Schatten der ausladenden Ranken einer blütenlosen Klematis in der Nähe der Tür.
Hier konnte man sie nicht sofort sehen, während sie den Raum im Auge behalten
und Liam und Peters Rückkehr sofort bemerken konnte.
Inzwischen hatte es sich eingeregnet, rhythmisch-melodisch tropfte
es auf die Blätter der Klematis. Lily fröstelte. Sie zog den Mantel fest um
sich und freute sich zu spüren, dass es ihr seit Langem nicht so gut gegangen
war. Liams offen gezeigte Zuneigung hatte ihr Vertrauen in seine Gefühle für
sie bestärkt.
»Ich bin doch wirklich albern«, schalt sie sich selbst. »Seit wann
brauche ich denn Peters Bestätigung, dass in meiner Ehe alles in Ordnung ist?
Liam liebt mich, wir müssen nur wieder mehr Zeit miteinander verbringen, und es
ist nicht seine Schuld, dass das im Moment nicht möglich ist.« Sie sprach die
Worte laut aus, weil es ihr dann leichter fiel, sie zu glauben. Doch dann
näherte sich eine Gruppe von Frauen, die einen Blick in den Garten werfen
wollte. Lily hörte ihre Absätze auf dem Marmor klappern. Sie wollte ihren
Posten gerade verlassen und an Liams Auto warten, als sie zwischen dem
Geplapper einen Satz vernahm, der sie erstarren ließ.
»Und, was sagt ihr zu Mrs. Liam Bonner?«
Lily zögerte. Sie wusste nicht, ob sie weiter zuhören wollte oder
nicht.
Die Neugier siegte, und die folgende Antwort fiel auch gar nicht so
vernichtend aus, wie sie erwartet hatte.
»Ich fand sie eigentlich sehr nett.«
»Sehr nett zu Peter Trevethan, oder wie? Habt ihr das gesehen? Wie
die aneinanderklebten?«
Lily unterdrückte ein amüsiertes Lächeln.
»Spinnst du?«, echauffierte sich die Stimme, die Lily für nett
befunden hatte. »Würdest du dich für Peter entscheiden, wenn du Liam haben
könntest? Die sind bestimmt einfach nur gute Freunde.«
»Ich finde, sie würde viel besser zu Peter passen …«, meinte die
erste, zickige Stimme. »Wie kann jemand wie die denn bitte einen Mann wie Liam
absahnen?«
»Also, ich finde, sie sieht auch ziemlich gut aus«, meldete sich
eine dritte Stimme zu Wort.
»Na, wem’s gefällt …«
»Offenbar gefällt sie so einigen, Olivia. Ist dir gar nicht
aufgefallen, wie Duncan sie angegeifert hat? Vielleicht bringt Liam sie deshalb
nicht mit zu Firmenfesten,
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