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Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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zu
wollen. Jetzt konnte es sein, dass er sie verließ, und auf einmal wurde ihr
überdeutlich klar, wie ihr Leben ohne Liam aussehen würde. Sie nahm seine heile
Hand, legte erst ihren Kopf mit der Stirn darauf und bedeckte sie dann mit
heißen Küssen.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid.« Ganz gleich,
wie oft sie diese Worte wiederholte – sie hatte das Gefühl, sie gar nicht oft
genug sagen zu können.

    Peter bog in die Baustelleneinfahrt ein und begrüßte
winkend den Sicherheitsbediensteten, der ihn sofort erkannte und die Schranke
öffnete. Nach Liams Unfall war die Baustelle für fast achtundvierzig Stunden
geschlossen worden, damit die Sachverständigen vom Arbeitsschutz und den
Versicherungsgesellschaften alles inspizieren konnten. Doch Duncan Cordays
Einfluss war enorm, und so waren die Männer jetzt schon wieder unter Hochdruck
am Arbeiten, obwohl die Bedingungen aufgrund des strömenden Regens alles andere
als optimal waren.
    Peter sah, wie ein rückwärtsfahrender Bagger gefährlich nah an eine
Gruppe unaufmerksamer Arbeiter herankam, und schauderte.
    Anfangs waren er und Liam beeindruckt gewesen von dem ambitionierten
Zeitplan, und die von Duncan Corday verfügte Dringlichkeit hatte sie regelrecht
berauscht. Adrenalin und Ehrgeiz hatten sie angetrieben. Sie waren richtig high
gewesen, jede Deadline verschaffte ihnen einen neuen Kick. Duncan Corday hatte
deshalb in seinem Leben so viel erreicht, weil er gute Führungsqualitäten
besaß. Er verstand es, Menschen in seine Hochleistungswelt einzubinden, er
verführte sie mit Beteuerungen ihrer Wichtigkeit, gab ihnen das Gefühl,
unbezahlbar und oft auch unbesiegbar zu sein – ließ sie dann aber auch
entsprechend schuften. Sein Vater sagte immer, Corday könne aus einem
Zwei-Pence-Stück durch bloßes Umdrehen ein Zehn-Pence-Stück machen. Als Peter
ihn endlich kennenlernte, war er mehr als erfreut gewesen, er hatte sich geehrt
gefühlt. Mit ihm arbeiten zu dürfen war die Erfüllung eines Traums gewesen.
    Ein Traum, so fürchtete Peter, der dabei war, sich in einen Albtraum
zu verwandeln.
    Für ihn stand außer Zweifel, dass die Verantwortung für Liams Unfall
bei der Gerüstbaufirma lag. Das Problem war nur, dass diese Firma – wie fast
alle Subunternehmen, die an diesem Bauprojekt beteiligt waren – ebenfalls Duncan
Corday gehörte.

    Peter hatte Lily überredet, noch einmal bei ihm in Truro
zu übernachten. Am nächsten Morgen stand Lily besonders früh auf, weil sie vor
dem Besuch im Krankenhaus nach Hause wollte. Es war ein kühler, trostloser Tag,
und je weiter sie nach Westen kam, desto leerer wurden die ohnehin wenig
befahrenen Straßen. Als sie dann über den höchsten Punkt einer Landzunge fuhr,
erblickte sie Rose Cottage. Die weißen Mauern wirkten im fahlen Licht grau. Es
war ein vertrauter und doch immer noch fremder Anblick für sie.
    Kaum hatte sie die Haustür aufgedrückt, stieg ihr auch schon der
typische muffige Geruch abgestandener Luft in die Nase. Sie stakste über den
Haufen Post auf der Fußmatte und drehte die Heizung im Flur auf. Die alte
Heizungsanlage rumpelte los. Sie bemerkte sofort, dass etwas fehlte, brauchte
aber eine Weile, bis ihr klar wurde, was es war. Peter hatte, als er ihre
Sachen holte, die Scherben der Vase zusammengekehrt. Als Lily sie in einer
Plastiktüte auf dem Küchentisch entdeckte, betrachtete sie sie eine Weile, bis
ihr die Tränen kamen. Dann ließ sie sie in einer Schublade verschwinden. Aus
den Augen, aus dem Sinn.
    Sie ging hinauf ins Schlafzimmer und packte ein paar Sachen. Alles
sah noch genauso aus wie an jenem Morgen. Das Bett war nicht gemacht, Liams
Klamotten vom Vortag lagen ordentlich zusammengelegt auf dem Sessel in der
Ecke, während ihre in einem wirren Haufen auf dem Boden neben dem Bett lagen,
wo sie sie betrunken und wütend hingepfeffert hatte. Sie sammelte sie auf, nahm
auch Liams Sachen vom Sessel und warf sie in den Wäschekorb im Badezimmer. Als
sie ihr bleiches Gesicht im Spiegel erblickte, blieb ihr fast das Herz stehen.
    Liam hatte ihr an jenem unheilvollen Morgen, nachdem er geduscht
hatte, eine Nachricht auf dem beschlagenen, leicht verstaubten Spiegel
hinterlassen, die nun immer noch zu sehen war: »Lily, ich liebe dich!«

    Nach fünf Tagen hatte Lily eine seltsame Routine
entwickelt. Den ganzen Tag wachte sie an Liams Bett, und nur, wenn sie so müde
war, dass sie hätte heulen können, tauchte sie bei Peter auf. Sie hatte bisher
überhaupt nicht

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