Das Rosenhaus
war froh über das,
was sie gerade getan hatte.
Immer wieder wurde man in diesem Beruf davor gewarnt, sich zu sehr
auf die Patienten und deren Angehörige einzulassen, aber manchmal konnte sie
eben nicht anders. Schließlich war es doch ein Pflegeberuf, den sie da ausübte,
oder? Und den ergriff man in der Regel, weil man sich für seine Mitmenschen
interessierte und sich um sie kümmern wollte.
Liam lag in einem privaten Einzelzimmer. Er schlief. Lily
betrachtete ihn durch die Glasscheibe in der Tür. Die Schwellungen klangen nun
langsam ab, die Blutergüsse verblassten und hinterließen ein blasses, abgemagertes
Gesicht. Lily war unendlich erleichtert, ihn endlich ohne den
Intensiv-Maschinenpark, ohne Monitore und Schläuche zu sehen.
Er konnte sich an den Unfall nicht erinnern. Nicht einmal an ihren
Streit. Sie hatte ihn nicht danach gefragt, aber er hatte ihr nach dem
Aufwachen mit dünner Stimme zugeflüstert, das Letzte, woran er sich erinnern
könne, sei der Nachmittag vor dem Unfall gewesen, als er bei der Arbeit gewesen
war.
Lily war darüber einerseits erleichtert – andererseits kam es ihr
wie eine Strafe vor. Sie wurde von neuen Schuldgefühlen geplagt.
Von der Zeit auf der Intensivstation hatte er natürlich so gut wie
gar nichts mitbekommen.
Wie ein Narkoleptiker schlief er immer wieder unvermittelt ein.
Die Ärzte hatten ihr erklärt, dass er immer noch unter Schock stand,
doch sein Rückzug aus der wachen Welt in den Schlaf hing mit dem Morphin
zusammen, das er regelmäßig verabreicht bekam, um die Schmerzen erträglich zu
machen.
Sie fingen jetzt an, die Dosierung zu reduzieren, was bedeutete,
dass er auf dem Weg in seine neue Realität war.
Er wachte auf, als Lily die Tür öffnete, und lächelte schwach.
Irgendwie erleichtert, wie ein verloren gegangenes Kind, das endlich wieder ein
vertrautes Gesicht sah. Er streckte die gesunde Hand nach ihr aus.
»Lily.« Mehr kam ihm nicht über die aufgesprungenen, trockenen
Lippen, aber sein Blick sprach Bände.
Lily setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett, ohne seine Hand
loszulassen.
»Na, du?«
»Bist du es wirklich?«, flüsterte er.
»Liam?« Besorgt runzelte sie die Stirn.
»Ich habe gerade geträumt, du wärst hier.«
»Und jetzt bin ich wirklich hier.« Wie zur Bekräftigung drückte sie
seine Hand.
»Gut«, murmelte er und schloss die Augen.
Der einzige Lichtblick während all der von Schmerzen und
Schmerzmitteln betäubten Tage, das Einzige, was sein kaputtes Leben noch
irgendwie lebenswert erscheinen ließ, war Morgen für Morgen der Moment, an dem
Lily hereinkam, sich neben ihn setzte und seine Hand nahm. Diese eine Berührung
vermochte seinen Schmerz mehr zu lindern als jedes Medikament.
Doch der Schmerz war nicht das Problem. Mit dem Schmerz konnte er
umgehen, er konnte ihn wegschließen wie ein dunkles Geheimnis, von dem man zwar
wusste, dass es da war, das man aber weit genug verdrängen konnte, um trotzdem
damit zu leben. Nein, was ihn fertigmachte, war die Hilflosigkeit. Der einzige
Körperteil, der noch funktionierte, war seine eine Hand, mit der er sich an
Lily festklammerte, als könne sie ihn davor bewahren, wieder abzustürzen.
Ärzte, Schwestern, Lily – sie redeten in seiner Gegenwart.
Über ihn.
Liam hörte die Stimmen, schaffte es aber nicht, sich ausreichend auf
das zu konzentrieren, was sie eigentlich sagten. Er kam sich vor wie in einem
Kokon aus Watte, durch den er die Außenwelt nur gedämpft wahrnahm. Er hörte
Gespräche, konnte sie aber nicht verstehen.
Man redete, als sei er gar nicht da – oder als sei er ein Stück
Inventar, wie die Geräte, an die er angeschlossen war.
Der Assistenzarzt aus der Intensivstation sprach im Flüsterton mit
jemandem – vielleicht mit dem Assistenzarzt der Unfallchirurgie. Normalerweise
hörte Lily kommentarlos zu, aber heute mischte sie sich ein.
»Er soll noch einmal operiert werden?«, fragte sie mit sorgenvoll
geweiteten Augen.
Er wirkte überrascht.
»Es gibt da noch ein paar Dinge, die repariert werden müssen, und
der Chirurg glaubt, der Patient sei jetzt stark genug. Es ist nur zu seinem
Besten, glauben Sie mir. Wir verfügen über die nötige Technologie – wir können
ihn wiederherstellen«, erklärte der Assistenzarzt strahlend, doch Lily nickte
nur, als hätte sie seinen Versuch, etwas Humor in die Sache zu bringen, nicht
bemerkt. Dann schwang die Tür auf, und Anthony Edwards kam herein. Der
Assistenzarzt richtete sich ein paar Millimeter auf,
Weitere Kostenlose Bücher