Das Rosenhaus
Freund
Gerechtigkeit widerfuhr. Zwar hatte die Corday-Gruppe die volle Verantwortung
für den Unfall übernommen, doch über die Höhe des Schmerzensgelds verhandelten
nun die Anwälte. Die Bauarbeiter waren immer noch freundlich zu Peter, aber die
Gerüstbauer redeten praktisch nicht mehr mit ihm, sie betrachteten ihn nicht
mehr als einen von ihnen, sondern als einen Außenstehenden. Gespräche
verstummten, wenn er sich näherte, und einst freundliche Blicke waren nun
misstrauisch.
Natürlich fehlte ihm Liam bei der Arbeit, aber das hätte er niemals
offen zugegeben. Lily, Liam und seinem aus dem sonnigen Frankreich anrufenden
Vater gegenüber tat er so, als sei alles in bester in Ordnung. Kein Grund zur
Sorge.
Er schlief maximal drei Stunden pro Nacht.
Heute würde er warten, bis Lily ins Bett gegangen war und sich dann
in die Küche setzen und wieder arbeiten.
Lily trank noch einen Schluck Wein, dann stellte sie das Glas ab und
wandte sich Peter zu.
»Es wird Zeit, dass ich zurückfahre.«
»Ins Krankenhaus?«, fragte er ungläubig. Er riss den Blick vom
Sternenhimmel los und sah Lily an. »Du bist doch den ganzen Tag da gewesen,
Lily, und Liam schläft jetzt sicher.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das meine ich nicht.«
»Nach Hause?«
Sie nickte und trank noch etwas Wein, als könne der sie stärken.
»Wenn ich es denn so nennen kann.«
»Du weißt, dass du so lange hierbleiben kannst, wie du möchtest. Ich
dränge dich nicht.«
Sie nickte halbherzig. Das Angebot war so verlockend. Peters kleines
Häuschen war ihr in den letzten Tagen viel mehr ein Zuhause gewesen als Rose
Cottage in den Monaten zuvor.
»Außerdem kommst du von hier doch viel schneller und einfacher zum
Krankenhaus.« Er war selbst überrascht, wie ihn die Vorstellung, Lily nicht
mehr täglich um sich zu haben, bewegte.
»Ich weiß, aber ich habe einfach das Gefühl, dass ich langsam
zurückkehren sollte. Aus verschiedenen Gründen.«
Er nickte und fragte nicht weiter nach. Dafür war ihm Lily dankbar.
Sie war sich nicht sicher, ob sie ihre mit der Rückkehr nach Rose Cottage
verbundenen Gefühle angemessen würde ausdrücken können.
Ihr fiel nur die alte Geschichte von einem Reitunfall ein: Je länger
man damit wartete, wieder auf ein Pferd zu steigen, desto schwieriger wurde es.
Sie nahm Peters Hand.
»Morgen früh besuche ich wie üblich Liam, aber abends werde ich dann
zum Cottage fahren.«
»Bist du ganz sicher, dass du das willst?«
»Nein«, lachte sie. »Ich würde viel lieber hier bei dir bleiben,
aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass du mich dann womöglich nie wieder
loswirst.«
»Ich will dich auch nie wieder loswerden.« Er drückte ihre Hand.
»Du bist mir eine so große Hilfe gewesen, Peter. Ich weiß gar nicht,
was ich ohne dich machen würde.«
»Dafür sind Freunde doch da.«
»Ja.« Lily beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn auf die Wange.
»Aber nicht alle Freunde sind gute Freunde.«
Als Lily die Intensivstation erreichte, fing Liz Green sie
bereits vor dem Schwesternzimmer ab. Sie lächelte.
»Gute Nachrichten. Er ist heute früh auf eine normale Station
verlegt worden, in die Unfallchirurgie. Das ist ein ganz sicheres Zeichen
dafür, dass der Oberarzt meint, er sei auf dem Wege der Besserung. Soll ich Sie
hinbringen? Allein würden Sie sich vielleicht verirren.«
Sie begleitete Lily durch einen wahren Irrgarten von Gängen, während
sie unaufhörlich auf sie einsprach. Eigentlich war Liz gar nicht so redselig,
aber Lily Bonner hatte irgendetwas an sich, etwas so unendlich Verwundbares,
dass man sie einfach entweder in den Arm nehmen oder mit Worten aufrichten
musste. Liz hatte sie nun zwei Wochen lang beobachtet und meinte, eine tiefe
Traurigkeit erkennen zu können, die weit über die Trauer nach dem Unfall des Ehemannes
hinausging. Als sie die Unfallchirurgie erreichten, zog Liz einen Zettel aus
der Tasche, notierte ihre Handynummer darauf und reichte ihn Lily. »Falls Sie
mal das Bedürfnis haben, mich anzurufen. Egal, weswegen.«
Lily brachte keinen Ton heraus. Angesichts dieser freundlichen Geste
kamen ihr sofort die Tränen, was Liz wiederum dazu veranlasste, sie in den Arm
zu nehmen und noch einmal zu unterstreichen: »Ganz egal, weshalb. Rufen Sie
einfach an, auch wenn Sie nur eine heiße Tasse Tee gebrauchen können oder ein
bisschen reden wollen …«
Lily nickte dankbar, dann wischte sie sich die Tränen aus dem
Gesicht, damit Liam nicht sah, dass sie geweint hatte. Liz
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