Das Rosenhaus
schon seit fünf Jahren hier, ohne dass
jemals jemand auch nur das geringste Interesse daran gezeigt hätte. Wird Zeit,
dass es eine neue Bestimmung bekommt.«
Lily lachte laut los.
»Ich kann gerne hier warten, bis Ihre Aushilfe kommt«, bot sie dann
zaghaft an. »Oder bis Sie wieder hier sind, je nachdem.«
»Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, aber das wäre nun
wirklich zu viel verlangt.«
»Ach was, ich habe nichts weiter vor. Ich mache das gerne. Und ich
verspreche Ihnen, dass die Kasse auch noch da sein wird, wenn Sie
zurückkommen.«
»Daran zweifle ich keine Sekunde …«
»Allerdings könnte es passieren, dass ich das Bild da in meiner
Handtasche verschwinden lasse.«
Abi sah zu dem Bild, auf das Lily gedeutet hatte, dann lächelte sie.
»Gefällt es Ihnen?«
»Es ist wunderschön.«
Abis Lächeln wurde breiter. Ihr war der Stolz ins Gesicht
geschrieben.
»Das ist mein Sohn Nathan. Also, seine Arbeit, meine ich. Er hat das
Bild gemacht. Er ist Fotograf. Ich fand schon immer, dass er Talent hat, aber
ich bin ja auch seine Mutter … Alle acht dort an der Wand sind von ihm. Er hat
schon mal was im National Geographic veröffentlicht.
Und auch in der Vogue und in The
Face , aber Modefotos macht er nur, um seine Leidenschaft für
Landschaften zu finanzieren … Nun, ich schweife ab, wie üblich. Also wenn Sie
wirklich hier für mich die Stellung halten wollen …« Sie fing wieder an zu
hüpfen.
»Sicher, kein Problem. Ich mache das gerne … Ich habe in London in
einer Kunstgalerie gearbeitet, und irgendwie fehlt mir das …«
»Wirklich?« Das ließ Abi ihre Blase wieder einen Moment vergessen.
»In welcher denn?«
»David Lithney, in der Nähe vom Soho Square.«
»Oha, na, das ist ja ein bisschen was anderes als das hier …«
»Kennen Sie sie?«
»Natürlich, aber ich habe mich ehrlich gesagt noch nie getraut,
hineinzugehen, ich habe nur schon des Öfteren am Schaufenster geklebt.«
»Schade. Ist nämlich gar nicht so schlimm, wie es scheint … Wenn Sie
mal wieder in der Nähe sind, gehen Sie hinein und fragen Sie nach Ruth, die
wird sich um Sie kümmern … sie würde Sie sogar die Toilette benutzen lassen …«
Lily lächelte Abi scheu an.
»Wenn ich gewusst hätte, dass es in dem Laden tatsächlich
menschliche Wesen gibt, wäre ich vielleicht nicht so zurückhaltend gewesen …
Und Sie sind sich ganz sicher, dass ich Sie hier kurz allein lassen kann?«
»Nun gehen Sie schon!«
Abi lächelte sie dankbar an und ging die Treppe hinunter. Sie holte
ihre Handtasche hinter dem Tresen hervor und klopfte auf den Hocker.
»Setzen Sie sich doch. Ich beeile mich!«
Keine fünf Minuten später kam ein vielleicht neunzehnjähriges
Mädchen zur Tür hereingestürzt. Sie hatte olivefarbene Haut und lange, dunkle
Haare. Trotz der frühlingshaften Wärme trug sie einen Dufflecoat und die
gestreifte Wollmütze mit dem dazu passenden Schal, die auch in diesem Laden zu
kaufen waren. Überrascht sah sie Lily aus ihren kleinen braunen Augen an, als
sie sie hinter dem Verkaufstresen sitzen sah.
Lily lächelte sie an, doch das Lächeln wurde nicht erwidert.
»Wer Sie sind? Wo ist Mrs. Hunter?«
Sie sprach gebrochenes Englisch mit starkem Akzent und klang
ziemlich unwirsch.
»Sie ist nur ein paar Minuten weg, kommt aber gleich wieder. Ich bin
Lily, ich halte hier die Stellung, bis sie zurück ist.«
Wie aufs Stichwort duckte sich Abis Lockenmähne unter dem niedrigen
Türsturz herein.
»Ah, Anna, da bist du ja! Prima. Lily, das ist Anna, meine rechte
Hand.«
Annas zusammengepresste Lippen formten sich zu einem kurzen Lächeln.
»Anna, das ist Lily, meine neue Nachbarin, sie wohnt im Rose
Cottage.«
Das Mädchen beäugte sie weiterhin schweigend.
»Bist du auch den ganzen Winter weg gewesen?« Der starre Blick des
Mädchens verunsicherte Lily und verleitete sie zu einem übertrieben strahlenden
Lächeln.
»Ich war in Spanien zu besuchen meine Familie«, antwortete das
Mädchen und verstaute ihre große Leinentasche unter dem Tresen. Dann sah sie
Lily durchdringend an. Lily sprang vom Hocker auf, und das Mädchen nahm ohne
Umschweife ihren Platz ein.
»Anna kommt aus Barcelona, die Glückliche«, erklärte sie und reichte
dem Mädchen eine der Kaffeetassen, die sie mitgebracht hatte. »Keine Ahnung,
was sie hier will, wo sie sich doch in der Sonne aalen und von Gaudí inspirieren
lassen könnte …«
»Ich hier, um zu lernen Englisch.« Anna nahm Abi offenbar eine Spur
zu
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