Das Rosenhaus
hatte. Obwohl Liam bei dem Unfall fast ums Leben gekommen war,
tat ihm jener unbekannte Mann leid, dessen Leben doch eine ganz ähnliche
Bruchlandung erlitten hatte wie seines.
Irgendwann tauchte auch Duncan Corday auf, an einem Samstagmittag
auf dem Weg zum Golfplatz. Er gab sich jovial und herzlich und mimte den besten
Kumpel, kam aber in Begleitung eines Mannes, den er als seinen guten Freund und
Golfpartner vorstellte, der aber zufällig auch sein Rechtsanwalt war.
Sie blieben eine halbe Stunde, hatten Zeitschriften, Blumen und
einen riesigen Obstkorb besorgt und plauderten über alles und nichts.
Später sah sie Lily, die ebenfalls gerade im Krankenhaus war, mit
Dr. Edwards, Liams Oberarzt, reden. Misstrauisch beobachtete sie die Runde eine
Weile aus sicherem Abstand und hörte, wie Liams Name mehrfach fiel.
Als Lily zu ihnen stieß, brachte das die Männer nicht im Geringsten
aus der Ruhe, und sie erklärten, Dr. Edwards sei ein alter Freund und
Golfpartner.
Sie erzählte Liam nichts davon.
Es gab so viele Gründe, warum sie über Liam gesprochen haben
konnten. Verglichen mit all den anderen Dingen, die sie zurzeit belasteten, war
dieser kleine Zwischenfall zu vernachlässigen. Was sie im Moment am meisten
beschäftigte, war der Umstand, dass Liam hin und wieder überhaupt kein Gefühl
in seinem operierten Bein hatte.
Man hatte ihn untersucht und wieder untersucht, aber keine
somatische Erklärung finden können.
Es war, als läge ein periodischer Fehler in seinem Schaltkreis vor,
sagte der Arzt.
Lily war erschüttert, dass sich das Behandlungsteam von dieser neuen
Entwicklung nicht weiter beunruhigt zeigte. Offenbar ging man davon aus, dass
sich das Problem von selbst lösen würde. Ja, es wurde sogar angedeutet, die
Ursache für die Lähmungserscheinungen sei wohl eher psychischer oder
emotionaler Natur.
Diese Einschätzung hatte immerhin den Vorteil, dass Liams
Entlassung tatsächlich in greifbare Nähe rückte.
Peter und Lily entlockten den Arbeitern am Haus die kühnsten
Versprechungen, was den Zeithorizont für die Erledigung der letzten Arbeiten
anging – und die Männer hielten ihre Zusagen. Sie hatte sie noch nie so
schweigsam und konzentriert arbeiten sehen. Das Ergebnis war rundum
beeindruckend, und Lily verabschiedete sich mit einem lachenden und einem
weinenden Auge von ihren neuen Freunden.
Kaum war der letzte Dank verhallt, holte sie die noch immer auf dem
Dachboden Staub sammelnden Umzugskartons herunter. Monate nach ihrem Einzug in
Rose Cottage fing sie endlich an, auszupacken.
Am Tag bevor Liam aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war
Lily zum ersten Mal ganz allein in dem frisch renovierten Haus. Es war Sonntag,
und sie beschloss, zu dem kleinen Laden an der Küstenstraße zu laufen und eine
Zeitung zu kaufen. Seit sie ihrem Mann nicht mehr täglich aus den Zeitungen
vorlas, hatte sie das regelmäßige Zeitungslesen für sich selbst fortgeführt. So
fühlte sie sich weniger isoliert.
Es regnete wieder einmal, allerdings war es nur ein kurzer Schauer.
Die Sonne hatte bereits einen Teil der Wolken verdrängt. Und als habe sie auch
das Meer weggeschoben, lagen die Boote mit ihren algenbedeckten Rümpfen auf dem
Trockenen.
Als Lily am Alten Windenhaus am Hafen vorbeikam, stellte sie
überrascht fest, dass die niedrige Tür offen stand. Das Alte Windenhaus
beherbergte einst die Winden, mit denen die Schiffe aufs Trockendock gezogen
wurden, und war heute ein Geschenkladen mit Kunstgalerie. Seit sie hier wohnte
war es allerdings immer geschlossen gewesen, lediglich ein Schild kündigte an,
dass man »im Frühjahr« wieder öffnen würde. Keine genauere Zeitangabe. Die
blassrosa Blüten der Pflanzen in den Holzkübeln rechts und links der Tür hatten
sich zur Sonne hin geöffnet. Vielleicht waren sie das Zeichen dafür, dass es
nun endlich Frühling war.
Lily ließ sich nur zu gerne von ihrem eigentlichen Vorhaben
ablenken. Ihre Gedanken waren in den letzten Wochen um kaum etwas anderes als
den Gesundheitszustand ihres Mannes gekreist, doch heute war sie richtig
neugierig und trat ein.
Nachdem ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie,
dass sich im Erdgeschoss zwar keine Kunden befanden, dafür aber jede Menge
Waren, die die Touristen ansprechen sollten. Seidenschals, handgeschnitzte
Spielsachen, selbstgenähte Röcke, Blusen und Westen, wunderbar bestickte Kinderkleidchen,
Schmuck, Duftkerzen, Trockenblumen, Keramik.
Eine schmale Wendeltreppe führte in den
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