Das Rosenhaus
ausgegangen, dass Sie allein hier
leben. Sie haben Ihren Mann heute Morgen gar nicht erwähnt.«
»Na ja, ist ja auch kein Thema, das man mal so eben nebenbei in ein
Gespräch einfließen lässt.«
»Stimmt. Was ist denn passiert?«
»Er ist Architekt und war auf einer seiner Baustellen. Ein Gerüst
ist zusammengebrochen, und er ist fast zwanzig Meter tief gefallen. Er war sehr
schwer verletzt, aber Gott sei Dank erholt er sich langsam. Er ist jetzt schon
fast acht Wochen im Krankenhaus, morgen wird er entlassen. Das ist zumindest
der Plan. Er ist auf dem Weg der Besserung, aber er hatte so viele
Knochenbrüche … Die meisten heilen gut, nur das eine Bein war problematisch …
Im Moment sitzt er im Rollstuhl …« Sie sprach abgehackt, atmete flach. Der
Schmerz war herauszuhören.
Abi hätte sie am liebsten in den Arm genommen.
»O Gott, wie schrecklich.«
»Aus dem wird er aber wieder rauskommen«, versicherte Lily.
»Natürlich.«
»Aber sein Bein funktioniert immer noch nicht richtig.«
»Wie ungerecht«, stellte Abi fest, und zu Lilys Erstaunen klang sie,
als meine sie das vollkommen ernst und nicht nur als Standardfloskel. Davon
hatte Lily inzwischen so viele gehört, dass sie den Unterschied ganz gut
heraushören konnte.
Sie lächelte und schnappte sich den Kuchen.
»Wollen wir uns den jetzt einverleiben?«
»Ich dachte schon, Sie würden gar nicht mehr fragen! Können Sie sich
eigentlich vorstellen, wie viel Selbstbeherrschung es mich gekostet hat, hier
nicht nur mit einem einzigen Stück Kuchen aufzutauchen? Ich habe das Ding
gestern Abend aus der Tiefkühltruhe geholt und seither gegen das Verlangen
angekämpft, es zu vertilgen! Bei Bobs Mürbeteigkuchen läuft mir nämlich
literweise das Wasser im Mund zusammen …«
»Bob?« Dieses Mal traute Lily sich zu fragen.
»Freund, Geschäftspartner, Helfer in allen Lebenslagen …«
»Klingt wie Peter …«
»Peter?«
»Was Sie gerade über Bob gesagt haben, trifft für mich auf Peter zu.
Na ja, abgesehen von Geschäftspartner, aber er ist Liams Geschäftspartner, und
wir sind schon seit Ewigkeiten befreundet.«
»Ich weiß, dass man die Dinge nicht verallgemeinern soll, aber
schwule Männer sind doch wirklich fast die besten Freunde …«
»Peter ist aber nicht schwul, jedenfalls zurzeit nicht … Gerade
neulich sagte er, wenn er nicht bald eine Frau findet, würde er vielleicht ans
andere Ufer wechseln …«
»Gut«, grinste Abi. »Wenn er das tut, müssen wir ihn und Bob
zusammenbringen.«
»Abgemacht.«
Lily ging in die Küche und holte Teller und Besteck. Nachdenklich
deckte sie den Tisch. »Wissen Sie, was richtig gut zu Kirschkuchen passt?«
»Vanilleeis«, sagten sie unisono.
»Sie sind ganz nach meinem Geschmack …« Abi nickte fröhlich und nahm
sich das Messer, um den Kuchen anzuschneiden.
Als Lily mit dem Eis auf die Terrasse kam, lächelte Abi allerdings
nicht mehr. Sie machte ein ziemlich enttäuschtes Gesicht.
»O Gott, das tut mir jetzt aber wirklich leid …«, murmelte sie
kopfschüttelnd.
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe es bis heute nicht gelernt, die Sachen in der
Tiefkühltruhe zu etikettieren.«
Abi zuckte entschuldigend mit den Schultern und zeigte auf das
aufgeschnittene Backwerk vor sich.
»Haben Sie schon mal Vanilleeis auf Quiche gegessen?«
Lily fing an zu lachen. Sie lachte und lachte und lachte, bis ihr
die Tränen die Wangen herunterliefen.
10
A ls Lily
aufwachte, lächelte sie. Sie hatte ausnahmsweise ziemlich gut geschlafen.
Abi war erst nach Sonnenuntergang wieder gegangen. Gemeinsam hatten
sie mit großem Genuss die Quiche verspeist und sich das Vanilleeis als Dessert
gegönnt.
Und sie hatten pausenlos geredet.
In erster Linie über Kunst und Künstler, über Cornwall und auch viel
über Abis Sohn Nathan, auf den Abi offenbar mächtig stolz war.
Sie hatten über Liam geredet.
Und dann hatten sie aufgehört, über Liam zu reden.
Was sie beide gleichermaßen erleichtert hatte.
Es war ein ganz wunderbarer Abend gewesen.
Und heute würde Liam nach Hause kommen.
Lily war aufgeregt wie vor einem ersten Date, als sie im
Krankenhaus ankam. Je näher Liams Entlassung gerückt war, desto mehr hatte sie
seine Angst gespürt. Das Krankenhaus war in den letzten Wochen seine Welt
gewesen, nun musste er diesen Ort der Sicherheit im Rollstuhl verlassen.
Sein linkes Bein war gut und schnell geheilt, der stramme Verband
von den Zehen bis zum Knie nicht mehr nötig. Die Gesamtgenesung
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