Das Rosenhaus
das
Liam passiert war, andererseits konnte sie beobachten, dass er nur ihr gegenüber
so launisch war.
Wie zum Beispiel an diesem Morgen.
Lily hatte ihm gleich morgens eine Tasse Tee in sein
Zimmer gebracht. Er war bereits glockenwach gewesen und hatte im Bett sitzend
gelesen, doch als sie anklopfte, sagte er nichts, und als sie schließlich
unaufgefordert das Zimmer betrat, ihm einen guten Morgen wünschte und den Tee
auf seinem Nachttisch abstellte, stierte er weiter in sein Buch, als sei sie
gar nicht vorhanden.
Aber kaum war Dylan da, strahlte und lachte er wieder,
erzählte ihnen beiden, wie gut ihm der Roman gefiel, den er gerade las, und
dass er von dem Autor schon viel früher etwas hätte lesen sollen. Er fragte
Lily, ob sie nicht noch andere Bücher von ihm auftreiben könne, und Lily hatte
lächelnd genickt und ihm versprochen, es zu tun – während sie sich die ganze
Zeit fragte: Warum? Warum war er so?
»Lily!!« Dieses Mal schrie er förmlich nach ihr und klang
sehr ungeduldig.
Sie legte das Messer auf das Schneidebrett, stützte sich auf der
Arbeitsplatte ab, um sich einen emotionalen Halt zu verschaffen, und seufzte.
Als sie sich gesammelt hatte, setzte sie ein Lächeln auf und antwortete: »Ich
komme!«
Als sie, die Hände an einem Geschirrtuch abwischend, aus der Küche
trat, waren die beiden im Flur und zogen sich ihre Jacken an.
»Ihr geht aus?« Sie klang unüberhörbar überrascht.
Liam nickte bloß, als sei das gar nichts Ungewöhnliches.
»Wir gehen ein Bier trinken. Haben wir Geld?«
»Deine Brieftasche liegt in einer Schublade in deinem Zimmer, ich
hol sie eben.«
»Nicht nötig, kann ich selbst«, pfiff er sie zurück und arbeitete
sich dann mitsamt dem Rollstuhl an ihr vorbei.
Lily drückte sich gegen die Wand, um ihm Platz zu machen, und sah
Dylan fragend an.
»Wie hast du das denn hinbekommen?«
Der Junge freute sich diebisch.
»Kinderspiel. Ich musste ihn nur glauben lassen, dass es seine
eigene Idee war.«
»Das musst du mir unbedingt beibringen!« Auch Lily lächelte, aber
eher gequält.
Sie drückte sich wieder gegen die Wand, als Liam zurückgerollt kam,
und rührte sich nicht, während Dylan sich erst seine eigenen Schuhe anzog und
sich dann vor Liam hinkniete, um ihm in seine zu helfen.
Dann richtete Dylan sich wieder auf und sagte: »Na los schon, Lily,
wir wollen doch nicht ewig auf dich warten.«
»Ich dachte, das sollte so was wie ein Herrenabend werden?«, gab sie
leichthin zurück, aber es klang gekünstelt.
»Falsch gedacht. Familienausflug.«
Sie sah Liam in Erwartung seines Einspruchs an, doch der nickte.
»Ja, nun mach schon!«
Lily hätte sich gerne noch schnell gekämmt, Lippenstift aufgetragen
oder ein frisches T-Shirt angezogen, aber da sie die positive Aufbruchsstimmung
auf keinen Fall gefährden wollte, indem sie die Männer warten ließ, legte sie
nur das Geschirrtuch zur Seite und schlüpfte in Windeseile in ihre Schuhe und
einen Cordblazer, von dem sie wusste, dass Liam ihn besonders gerne mochte.
Als sie fertig war, saßen die beiden bereits draußen im Auto. Sie
kletterte auf den Rücksitz, und kaum saß sie, drehte Liam sich zu ihr um und
sah sie an.
»Schöne Jacke.«
Sie freute sich über diese persönliche, leicht scherzhafte Bemerkung
und antwortete ihm deutlich unbefangener, als sie es noch vor wenigen Stunden
für möglich gehalten hätte:
»Ja, nicht? Finde ich auch. Hat mein Mann mir geschenkt.«
»Dein Mann hat einen ziemlich guten Geschmack.«
»Natürlich hat er den, schließlich hat er mich geheiratet.«
Kurz schien es, als seien sie vollkommen unbeschwert, und
tatsächlich hatte Lily in diesem Moment das Gefühl, als würde sie einer großen
Last entbunden. Dann wandte Liam sich wieder ab. Nicht das körperliche Abwenden
tat ihr weh, sondern die Tatsache, dass er von da an mit Dylan sprach, als
befände sie sich gar nicht im Auto.
Sie fuhren über die Landzunge und hinunter in den Ort. Auf dem
kleinen Parkplatz beim Pub waren zwar noch Plätze frei, aber Dylan bog rechts
ab und stellte den Wagen auf dem Strandparkplatz ab.
Lily wollte gerade fragen, warum er das tat, als es ihr selbst
aufging. Der Strandparkplatz war leer. Dort gab es kein Publikum für die
Vorstellung, die Liams Aussteigen aus dem Auto bedeutete, keine neugierigen
oder mitleidigen Blicke, wenn er sich im Rollstuhl zurechtsetzte, keine
Hilfsangebote von aufmerksamen Passanten, auf die beide Männer gut und gerne
verzichten konnten.
Lily bewunderte
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