Das Rosenhaus
wie ich sonst in einer
Tour schnattere, aber ich kann wirklich gut zuhören, und ich bin für Sie da,
wenn Sie mich brauchen.«
»Danke.«
Abi hatte das Gefühl, dass es nun besser war, das Thema zu wechseln,
und widmete sich der Karte.
»Haben Sie Lust auf etwas mehr als nur eine Tasse Tee? Etwas
Herzhaftes? Was meinen Sie?«
Lily freute sich, nickte und nahm die Karte zur Hand. »Ist es nicht
ein bisschen spät für die Mittagskarte?«
»Ja, streng genommen schon, aber da wir es sind … Also, es hat
gewisse Vorteile, Inhaberin eines Restaurants zu sein …« Sie zwinkerte. »Ich
habe kein Problem damit, mich mit Kuchen vollzustopfen, aber ich habe gerade
unwiderstehliche Lust auf Bobs Lasagne, die ist einfach himmlisch …«
»Ist Bob der Koch?«
»Manchmal, ja, wenn ihm danach ist. Er kocht aus Leidenschaft, zieht
sich liebend gern mal die Schürze an und hilft aus, wenn der reguläre Koch
seinen freien Tag hat. Aber er hat auch einen ›richtigen‹ Job. Ihm gehört ein
Buchladen in Truro, ein wunderbares Geschäft, halb Laden, halb Café, man kann
sich also hinsetzen und im neuesten R. J. Ellory blättern, während man sich ein
Riesenstück von Bobs sündhaft gutem Schokoladenkuchen einverleibt.«
»Klingt gut.«
»Ist es auch … Ich glaube, das könnte Ihnen gefallen, lassen Sie uns
da mal zusammen hinfahren … Wenn Ihr Mann Sie mal einen halben Tag entbehren
kann …«
»Das kann er ganz bestimmt. Gerne.«
Abi strahlte sie an, dann wanderte ihre Aufmerksamkeit auf etwas,
was sich hinter Lily befand, und grinste noch viel breiter. Juchzend stand sie
von ihrem Stuhl auf.
»Du bist zurück! Wann bist du angekommen?«
Lily drehte sich um. Ein gepflegter Mann Mitte fünfzig, etwa eins
fünfundsiebzig groß und trotz Glatze gut aussehend, kam mit ausgestreckten
Armen auf sie zu.
»Ach, Lily …«, wandte sie sich entschuldigend noch einmal um, »das
ist Bob. Bob, du bist ja wieder da!«
Binnen Sekunden war Abi bei ihm und fiel ihm um den Hals, als habe
sie ihn Jahrzehnte nicht gesehen.
Er sieht gar nicht schwul aus, dachte Lily und schalt sich gleich
selbst angesichts ihrer Vorurteile. Obwohl … Er war sehr gepflegt, trug seine Brille an einer Kette um den Hals, einen Pulli von Ralph
Lauren über einem Polohemd … Und sowohl die Oberteile als auch seine Hose waren
in verschiedenen Lila- und Violetttönen gehalten.
Sie hielten sich bei den Händen.
Ganz gleich, welcher Art ihre Beziehung war, Lily beneidete sie um
ihren ungezwungenen und vertrauten Umgang miteinander. Dann drehte Abi sich zu
Lily um und streckte ihr die Hand entgegen.
»Bob, ich möchte dir Lily vorstellen, Lily, das ist der fabelhafte
Bob, der genauso süß und wunderbar ist wie seine Kuchen.«
Bob strahlte wie ein Lampenladen, als er Lily die Hand schüttelte.
»Lily … freut mich sehr, Sie kennenzulernen, ich habe schon viel von
Ihnen gehört.« Und mit diesen Worten hatte er sie auch schon an sich gezogen
und ebenfalls in die Arme geschlossen. Zunächst war Lily leicht irritiert, aber
dann freute sie sich einfach nur über seine Warmherzigkeit.
Er setzte sich zu ihnen, aß mit ihnen, lachte mit ihnen und sorgte
dafür, dass sie sich alle duzten. Lily entspannte sich immer mehr und genoss
die wunderbare Gesellschaft, bis sie Stunden später regelrecht selig und auf
neuen Freundschaftswolken schwebend wieder nach Hause ging. Sie hatte neue
Kraft geschöpft.
13
L ily!«
Liams Stimme
hallte mit einer Kraft durch den Flur, die man ihm bei seiner schwachen
körperlichen Konstitution gar nicht zugetraut hätte.
Lily schnitt Karotten für den Eintopf und überlegte
gerade, wie es wohl ankäme, wenn sie Dylan nun zum vierten Mal hintereinander
einladen würde, zum Abendessen zu bleiben.
Sie war zu dem Schluss gekommen, dass Dylan ein Geschenk
des Himmels war, stark und geduldig und mit einem Sinn für Humor ausgerüstet,
der eigentlich im Kontrast zu seinem ruhigen Äußeren stand. Wenn Dylan da war,
war Liam so viel umgänglicher, viel entspannter und besser gelaunt. So wie
früher.
In letzter Zeit hatte Lily sich zunehmend Sorgen gemacht,
dass sein Unfall Liam auch über die sichtbaren körperlichen Folgen hinaus
Schaden zugefügt hatte. Sie hatte neulich nachts im Internet gesurft und einen
Artikel darüber gefunden, dass ein schwerer Unfall Einfluss auf die
Persönlichkeit eines Menschen haben konnte. Gesteigerte Aggressivität,
verminderte Toleranzfähigkeit. Sie befürchtete mehr und mehr, dass genau
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