Das Rosenhaus
zuzuhören und sich zur Abwechslung mal unterhalten zu lassen, statt
immer auf hohem Niveau parlieren zu müssen.
Als Lily aufstand, um Kaffee zuzubereiten, sah sie ihr Spiegelbild
im Küchenfenster.
Wie sie strahlte. Endlich sah sie mal wieder wie der Mensch aus, der
sie einmal gewesen war, und der sie so gerne wieder sein wollte. Gebannt betrachtete
sie sich, als blicke sie in das Gesicht einer Fremden.
15
I n der
darauffolgenden Woche bekam die Rose-Cottage-Familie erneut Zuwachs.
Reefer war ein Collie-Mischling und war Dylans Hund.
Dylans Mitbewohner, der überwiegend Spätschichten am Krankenhaus
geschoben hatte, war ausgezogen, sodass der Hund nun regelmäßig den ganzen
Vormittag allein zu Hause war. Nachdem er wieder mal ein Möbelstück als
Kauknochen missbraucht hatte, bat Dylan darum, ihn fortan zu Lily und Liam
mitnehmen zu dürfen. Er wollte ihn lediglich im hinteren Garten halten, aber
das Tier hatte es verstanden, Lily mit seinen großen braunen Augen um die Pfote
zu wickeln und einen etwas komfortableren Platz vor dem Kamin in der Küche zu
ergattern. Von dort war Reefer irgendwann in Liams Arbeitszimmer gewandert, und
jetzt – nur wenige Tage nach seinem ersten Erscheinen – bewegte Reefer sich
ungehindert im ganzen Haus.
Lily und Reefer hatten beide eine Schwäche für Jaffa Cakes. Sie
ergänzten sich hervorragend – Reefer liebte das Biskuit und Lily das
Orangengelee und die Schokolade – und wurden beste Freunde. Jeden Morgen ging
Lily mit Reefer spazieren, während Dylan und Liam sich konzentriert der oftmals
schmerzhaften Physiotherapie widmeten.
Da er von Natur aus folgsam war, brauchte Reefer weder Halsband noch
Leine. Er rannte Lily immer ein Stück voraus, blieb hin und wieder stehen und
sah sich nach ihr um, dann raste er zurück und drückte ihr seine feuchte
Schnauze in die Hand, als wolle er sie animieren, einen Schritt schneller zu
gehen.
Lily war überrascht und auch ein wenig traurig, wie sehr sie die
Gesellschaft eines anderen Lebewesens bei ihrem morgendlichen Spaziergang
genoss. So fühlte sie sich weniger einsam, und ihr Streifzug hatte plötzlich
einen Sinn. Früher war sie losgelaufen, um einfach mal eine Stunde aus dem Haus
zu kommen – jetzt war ihre tägliche Runde plötzlich ein Muss. Doch Lily genoss
nicht nur die Gesellschaft des Hundes, sondern auch die Gesellschaft anderer,
die der Hund aufgrund seines gutmütigen und offenen Naturells anzog.
Dylan war an diesem Morgen früher als sonst gekommen, weshalb Reefer
bereits an der Haustür auf sie wartete, als sie die Treppe herunterkam. Die
Schnauze auf den Vorderpfoten abgelegt, blinzelte er mit seinen riesigen,
ausdrucksvollen Augen zu ihr auf.
Er ließ sie in Ruhe eine Kanne Tee machen, dann scharwenzelte er um
sie herum, wedelte wie ein Weltmeister mit dem Schwanz und versuchte, sie aus
der Küche und hin zur Haustür zu schieben.
»Dürfte ich vielleicht erst eine Tasse von dem Tee trinken, den ich
netterweise machen durfte?«, lachte sie, verwarf dann aber ihre Frühstückspläne
und zog ihre Gummistiefel an.
Es würde ein warmer Tag werden.
Die blassgelbe Sonne sog gierig den Tau aus dem Boden, bis er in
tiefen Nebelschwaden auf der Landschaft lag.
Sie verfolgten den üblichen Weg über die Landzunge und hinunter nach
Merrien Cove.
Die drei Fischer manövrierten gerade eines der kleineren
Fischerboote ins Trockendock. Die motorisierte Winde zog die schwere Kette über
Lenkrollen, die in der Hafenmauer verankert waren. Ein Mann stand neben der
Winde und sorgte dafür, dass das Seil gerade lief, der Jüngere marschierte
hinter dem kleinen Schiff her, um es am Bug zu stabilisieren, und der Ältere
beaufsichtigte die ganze Aktion.
Sie hatten Lily von Anfang an gegrüßt, wenn sie auf ihrem
Spaziergang vorbeikam, aber seit sie Reefer bei sich hatte, nahmen sie sich die
Zeit für einen kurzen Plausch und wuschelten dem Hund mit ihren Arbeiterhänden
sanft durch das seidige Fell.
Als Lily Reefer das erste Mal dabeihatte, war er begeistert auf die
drei Männer zugelaufen und hatte sie der Reihe nach begrüßt. Da war es für Lily
nur natürlich gewesen, ihm zu folgen. Mit seiner unbekümmerten Art war er über
Grenzen hinweggetollt, die sie monatelang nicht zu überqueren gewagt hatte.
Jetzt wusste sie, dass Proctors Kollegen Dizzy und Whip hießen.
Dizzy war der Jüngere, Ende zwanzig, schätzte Lily, und sein Kopf
sah aus, als hätte man einen umgekehrten Besen darauftransplantiert.
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