Das Rosenhaus
auf Snowboards mit
halsbrecherischer Geschwindigkeit senkrecht abfallende Pisten runterrasen, ja?«
»Ganz genau. Ich war auch schon mal dabei«, erzählte er stolz. »Habe
bei einem Wettkampf am Strand von Newquay mitgemacht. Bin dritter geworden.«
»Surfen?«
»Nee. Bier trinken …« Erst sah er sie todernst an, dann fing er an
zu lachen. »Ja, klar, Surfen.«
Und dann fügte er betont entspannt hinzu: »Liam will, dass ich ihm
das Surfen beibringe, wenn es ihm wieder besser geht.«
»Wann auch immer das sein wird«, sagte sie leise.
»Er hat einen starken Willen.«
»Das stimmt.«
Sie schwiegen und hielten sich beide an ihren Weingläsern fest. Die
Rundung lag bauchig in ihrer Hand, und Lily hob das Glas so weit an, dass ihr
der Duft in die Nase stieg.
In ihrem Gesicht spielte sich ein Film ab, den er schon öfter
gesehen hatte.
»Das ist völlig normal, Lily«, sagte er sanft.
»Was?«
»Dass er dich so behandelt. Es ist leider Gottes normal, dass
jemand, der ein solches Trauma erlitten hat, all seine negativen Gefühle an dem
Menschen auslässt, der ihm am nächsten steht.«
Sie nickte. Und sie staunte, wie Dylan gerade noch über Extremsport
reden und so jung wirken konnte, und dann auf einmal eine Weisheit an den Tag
legte, wie man sie nur von deutlich älteren Menschen erwartete. Sie blinzelte
ein paar Mal, sah ihn an und fragte dann: »Hast du eigentlich eine Freundin,
Dylan?«
»Willst du mir damit sagen, dass du nicht über Liam reden willst?«
Er fasste ihr Schweigen als ein Ja auf, konnte es aber nicht sofort
akzeptieren.
»Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich nicht nur für Liam da bin.
Ich bin auch für dich da, wenn du mich brauchst, okay?«
»Ich dachte, du wolltest Physiotherapeut werden, nicht
Psychotherapeut?«, sagte sie lächelnd, aber nicht ohne eine gewisse Abweisung
in der Stimme.
»Punkt für dich. Und nein, ich habe keine Freundin. Jedenfalls nicht
im Moment. Und nicht, weil ich nicht gerne eine hätte oder mich nicht bemühen
würde.«
Diese Aussage nahm sie zum Anlass, ihm zu versichern, was für ein
gut aussehender, intelligenter junger Mann er war, und dass er eines Tages eine
wunderbare Frau finden würde, die ihn zum Lachen bringen konnte. Dann schwiegen
sie beide einvernehmlich, tranken Wein und warteten darauf, dass Liam zum
Abendessen auftauchen würde. Nach einigen Minuten legte Lily die Hand auf
Dylans Arm.
»Dylan …«, sagte sie mit leiser, heiserer Stimme. »Danke.«
Er nickte, und mehr wurde dazu nicht gesagt. Liam tauchte wieder
auf, und das Gespräch bei Tisch verlief eine Spur weniger angestrengt als
sonst.
Am nächsten Tag goss es in Strömen, und Lilys Vorhaben, im
Garten Mittag zu essen, fiel buchstäblich ins Wasser. Und so versammelten sie
sich doch wieder um den Küchentisch – sie, Liam, Peter und Dylan, der am Ende
doch über Nacht geblieben war.
Um der Gemütlichkeit willen hatte Lily den Kamin angezündet. Der
dunkle, wolkenverhangene Himmel draußen, der flackernde Feuerschein drinnen,
die leise Musik und der leichte Geruch nach Eisen, der sich manchmal
einstellte, wenn sich Regenluft mit dem köstlichen Aroma eines Roastbeefs
vermischte, ließen Lily vor lauter Behaglichkeit ganz warm ums Herz werden.
Liam war ausgezeichneter Laune – und zwar nicht nur Peter und Dylan,
sondern auch ihr gegenüber.
Sie hatte ihm morgens im Bad und beim Anziehen geholfen, und er
hatte mit ihr geplaudert, während sie ihm die Brust und die Schultern wusch.
Ja, er hatte sie sogar kurz auf den Mund geküsst. Als sie ihm beim Anziehen
half, scherzte er darüber, dass er zugenommen hatte, obwohl er immer noch gut
sechs Kilo weniger wog als vor seinem Unfall. Und als sie fertig waren, dankte
er Lily ausdrücklich für ihre Hilfe.
Lily staunte wieder einmal, dass seine Laune sich genauso
unvorhersehbar und oft änderte wie das Wetter. Dennoch sog sie diesen
aufmerksamen Liam gierig in sich auf und weigerte sich, daran zu denken, dass
dieser Gemütszustand abrupt enden konnte.
Peter dagegen war so still, dass Lily erst fürchtete, der Abend mit
Wendy sei in einem fürchterlichen Desaster geendet. Doch schon bald
durchschaute sie, dass er zwar zurückhaltend, aber keineswegs entmutigt war. Er
war irgendwie anders, wie genau, war schwer zu sagen, aber auf jeden Fall
anders, und Lily brannte natürlich darauf, ihn zu fragen, wie der Abend verlaufen
war. Gleichzeitig wollte sie ihre Aufmerksamkeit nicht von Liam abwenden, der
heute so sehr wie schon
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