Das Rosie-Projekt
weiteres Zusammentreffen mit der Dekanin, diesmal wegen des »Flunder-Zwischenfalls«.
Eine meiner Aufgaben besteht darin, Medizinstudenten Unterricht in Genetik zu erteilen. Im ersten Kurs des letzten Semesters meldete sich, kurz nachdem ich das erste Dia gezeigt hatte, ein Student ohne Angabe seines Namens zu Wort. Das Dia ist eine brillante und wunderschöne diagrammartige Darstellung der Evolution von Einzellern bis zur heutigen unfassbaren Vielfalt der Arten. Nur meine Kollegen im Fachbereich Physik können es mit der außergewöhnlichen Geschichte aufnehmen, die es erzählt. Ich verstehe nicht, wie manche Leute sich mehr für das Ergebnis eines Fußballspiels oder das Gewicht einer Schauspielerin interessieren können.
Dieser Student gehörte einer noch anderen Kategorie an.
»Professor Tillman, Sie benutzen das Wort ›Evolution‹.«
»Korrekt.«
»Ich denke, Sie sollten darauf hinweisen, dass Evolution nur eine Theorie ist.«
Es war nicht das erste Mal, dass ich eine derartige Frage – oder Feststellung – hörte. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich die Überzeugung eines Studenten nicht ändern würde, die zweifellos auf religiösem Dogma beruhte. Ich konnte nur sicherstellen, dass der Student – oder die Studentin – von anderen angehenden Ärzten nicht ernst genommen wurde.
»Korrekt«, erwiderte ich, »aber Ihr Gebrauch des Wortes ›nur‹ ist irreführend. Evolution ist eine Theorie, die von überwältigender Beweislast gestützt wird. Wie beispielsweise auch die Erregertheorie bei Krankheiten. Man wird von Ihnen als Arzt erwarten, dass Sie sich auf Wissenschaft berufen. Es sei denn, Sie wollen als Wunderheiler gelten. In welchem Fall Sie im falschen Kurs wären.«
Es gab Gelächter. Wunderheiler protestierte.
»Ich spreche nicht von Wundern. Ich spreche von
wissenschaftlichem
Kreationismus.«
Es ertönten ein paar Stöhner. Sicher stammten viele der Studenten aus Kulturen, in denen Religionskritik nicht gern gehört wird. So wie in unserer. Nach einem früheren Zwischenfall war es mir verboten, mich über Religion zu äußern. Aber hier ging es um Wissenschaft. Ich hätte den Streit fortführen können, doch ich war nicht so unbedacht, mich von einem Studenten ablenken zu lassen. Meine Kursinhalte sind präzise auf die Dauer von fünfzig Minuten ausgearbeitet.
»Evolution ist eine Theorie«, sagte ich. »Es besteht keine andere Theorie über den Ursprung des Lebens, die in gleichem Maße von Wissenschaftlern anerkannt wird oder für die Medizin von Nutzen wäre. Daher werden wir in diesem Kurs davon ausgehen, das sie stimmt.« Ich war der Meinung, ich hätte die Situation gut gelöst, ärgerte mich jedoch, dass nicht ausreichend Zeit blieb, über die Pseudowissenschaftlichkeit von Kreationismus zu diskutieren.
Einige Wochen später, während ich im Universitätsclub zu Mittag aß, entdeckte ich die Möglichkeit, meine Haltung kurz und bündig zu veranschaulichen. Als ich zur Theke ging, sah ich eines der Mitglieder eine Flunder essen, die mitsamt Kopf serviert worden war. Nach einem etwas mühsamen Gespräch durfte ich das Fischskelett samt Kopf an mich nehmen, das ich einwickelte und in meinem Rucksack verstaute.
Vier Tage später hatte ich wieder Unterricht in dem Kurs. Ich machte Wunderheiler ausfindig und stellte ihm zunächst eine Frage: »Glauben Sie, dass Fische in ihrer momentanen Form von einem intelligenten Urheber geschaffen wurden?«
Die Frage schien ihn zu überraschen, vielleicht, weil seit seiner Frage zu dem Thema sieben Wochen vergangen waren. Doch er nickte.
Ich packte die Flunder aus. Sie hatte mittlerweile einen unangenehmen Geruch angenommen, aber Medizinstudenten sollten darauf vorbereitet sein, im Interesse der Wissenschaft mit unangenehmen organischen Objekten konfrontiert zu werden. Ich deutete auf den Kopf: »Beachten Sie bitte, dass die Augen nicht symmetrisch sind.« Tatsächlich hatten sich die Augen zersetzt, aber die Lage der Augenhöhlen war klar erkennbar. »Das kommt daher, dass sich die Flunder vom konventionellen Fisch mit Augen auf beiden Seiten des symmetrischen Schädels wegentwickelt hat. Evolutionsbedingt wanderte ein Auge langsam herum, aber nur so weit, dass es noch effektiv funktioniert. Die Evolution hat sich nicht die Mühe gemacht, auch hier eine Symmetrie zu schaffen. Ein intelligenter Schöpfer dagegen hätte sicher keinen so unperfekten Fisch geschaffen.« Ich legte Wunderheiler den Fisch hin, damit er ihn untersuchen könne, und
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