Das Rosie-Projekt
mit den emotionalen Konsequenzen nicht umgehen.
Diese dritte Möglichkeit fiel mir erst ein, nachdem ich die erste und zweite ausgeschlossen hatte. Ich wusste sofort – instinktiv! –, dass es die richtige war. Mein Gehirn war bereits emotional überfordert gewesen. Die Ursache dafür lag nicht an der todesmutigen Flucht aus dem Fenster des Chirurgen, nicht an den warnenden Worten eines bärtigen Psychiaters in dessen dunklem Keller, der alles getan hätte, um sein Geheimnis zu schützen. Sie lag auch nicht darin, dass Rosie vom Museum bis zur U-Bahn meine Hand gehalten hatte, obwohl das sicher dazugehörte. Die Ursache lag im Gesamtpaket »mit Rosie in New York«.
Mein Instinkt hatte mich warnen wollen, dass, wenn ich diesem Paket nur ein einziges Erlebnis hinzufügte – die wortwörtlich überwältigende Erfahrung, Sex mit Rosie zu haben –, meine Emotionen mein Hirn ausschalten würden. Mich zu einer Beziehung mit Rosie drängen würden. Was aus zwei Gründen ein Desaster gewesen wäre: Erstens war sie langfristig absolut ungeeignet, und zweitens hatte sie selbst klargestellt, dass unsere intime Beziehung nicht über unsere Zeit in New York hinausgegangen wäre. Diese beiden Gründe waren absolut konträr, schlossen sich gegenseitig aus und basierten auf ganz und gar unterschiedlichen Voraussetzungen. Ich hatte keine Ahnung, welcher davon der richtige war.
Wir befanden uns im Landeanflug zum Flughafen von Los Angeles. Ich drehte mich zu Rosie. Es war mehrere Stunden her, seit sie ihre Frage gestellt hatte, und ich hatte lange darüber nachgedacht. Wie fühlte ich mich?
»Verwirrt«, antwortete ich.
Ich nahm an, dass sie ihre Frage schon wieder vergessen hatte, aber vielleicht ergab die Antwort auch so noch Sinn.
»Willkommen in der wirklichen Welt.«
Ich schaffte es, die ersten sechs Stunden unseres Fünfzehn-Stunden-Flugs wach zu bleiben, um meine interne Uhr wieder zurückzustellen, aber es war schwer.
Rosie schlief ein paar Stunden und schaute dann einen Film. Ich sah zu ihr hinüber und merkte, dass sie weinte. Sie nahm die Kopfhörer ab und wischte sich über die Augen.
»Du weinst«, sagte ich. »Gibt es ein Problem?«
»Erwischt«, sagte Rosie. »Das ist einfach eine traurige Geschichte.
Die Brücken am Fluss
. Ich nehme an, du weinst im Kino nicht.«
»Korrekt.« Ich merkte, dass das negativ ausgelegt werden könnte, also fügte ich zur Verteidigung hinzu: »Das scheint auch hauptsächlich ein Phänomen bei Frauen zu sein.«
»Danke.« Rosie schwieg wieder, aber sie schien sich von ihrer Traurigkeit über den Film zu erholen.
»Sag mal«, fuhr sie dann fort, »fühlst du überhaupt etwas, wenn du einen Film siehst? Kennst du
Casablanca
?«
Diese Frage war mir vertraut. Gene und Claudia hatten sie gestellt, nachdem wir zusammen eine DVD gesehen hatten. Meine Antwort beruhte also auf vorheriger Reflexion.
»Ich habe einige romantische Filme gesehen. Die Antwort lautet nein. Anders als Gene und Claudia und offenbar die Mehrheit der menschlichen Spezies berühren mich Liebesgeschichten emotional nicht. Eine solche Reaktion scheint bei mir nicht vorprogrammiert zu sein.«
Sonntagabend besuchte ich Gene und Claudia zum Essen. Ich litt ungewöhnlich stark unter Jetlag und hatte demzufolge Schwierigkeiten, einen zusammenhängenden Abriss der Reise zu liefern. Ich versuchte, von meinem Treffen mit David Borenstein an der Columbia zu erzählen, vom Naturkundemuseum, dem Essen bei
Momofuku Ko
, aber die beiden waren absolut
versessen
darauf, Details über meine Interaktionen mit Rosie zu erfahren. Es war unvernünftig zu erwarten, dass ich mich an jedes Detail erinnerte. Und über das Vaterprojekt konnte ich ohnehin nicht sprechen.
Claudia freute sich sehr über das Tuch, aber es bot erneut Anlass zur Befragung. »Hat Rosie dir beim Aussuchen geholfen?«
Rosie, Rosie, Rosie.
»Die Verkäuferin hat es gleich als Erstes empfohlen.«
Als ich ging, fragte Claudia: »Und, Don? Wirst du Rosie wiedersehen?«
»Nächsten Samstag«, antwortete ich wahrheitsgemäß, ohne zu erwähnen, dass dies kein privates Treffen wäre – für den Nachmittag hatten wir die Analyse der DNA -Proben angesetzt.
Sie wirkte zufrieden.
Ich aß allein zu Mittag im Universitätsclub und überflog noch einmal die bisherigen Ergebnisse des Vaterprojekts, als Gene mit seinem Essen und einem Glas Wein kam und sich mir gegenübersetzte. Ich versuchte, den Ordner schnell beiseitezulegen, erreichte aber nur, dass
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