Das rote Band
folgend. „Du hast sie noch nie erwähnt, nur deinen Vater. Ist sie tot?“
„Nein, sie lebt. Glaube ich zumindest“, erwiderte Victorian leichtfertig, doch seine Stirn legte sich in Falten. „Die Ehe meiner Eltern war von Anfang an eine Katastrophe. Kaum war ich geboren, begann meine Mutter viel zu reisen. Ihre Pflicht meinem Vater gegenüber hatte sie durch meine Geburt erfüllt.“ Er nahm ihren linken Fuß in die Hand. „Ich habe sie vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen.“
Eloïse war entsetzt. „Aber vermisst deine Mutter dich nicht?“
„Ich denke nicht. Sie sagte mir, ich sähe aus wie mein Vater und hätte vermutlich auch seinen Charakter geerbt. Sie wollte immer so wenig wie möglich mit mir zu tun haben.“
„Das ist …“ Eloïse fand keine Worte. „Sie verpasst einen wunderbaren Sohn.“
„Ob das eine auf mich zutreffende Eigenschaft ist, darüber sind die Meinungen sicher geteilt.“ Für einen kurzen Moment kehrte seine gewohnte Distanziertheit zurück. „Ich leide nicht unter der Trennung von meiner Mutter. Im Gegenteil, wenn sie da ist, ist es nicht sehr angenehm in Walraven.“ Er zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern streiten ständig und werfen sich gegenseitig ihre Affären vor. Manon hat sich immer um mich gekümmert. Sie ist für mich wie eine Mutter.“ Er war dazu übergegangen, ihre Zehen zu massieren. „Du würdest sie sicher mögen, Eloïse, obwohl sie sehr streng sein kann. Als Kind hatte ich einmal ihr Verbot ignoriert und bin am Fluss spielen gegangen …“
Ungläubig starrte Eloïse auf den Mann vor sich. War das wirklich Victorian? So viel wie jetzt hatte er ihr noch nie von sich erzählt, und seine Ausführungen schienen überhaupt kein Ende zu nehmen. Und dann die Tatsache, dass er wie ein Diener vor ihr kniete und sich um ihre kalten Füße sorgte! Es stimmte einfach nicht, dass Victorian gefühllos war. Er war tiefer Empfindungen fähig, wie die Begeisterung für seine alte Amme deutlich bewies. Eloïse freute sich über diese Entdeckung. Sie schloss die Augen und genoss die Bewegungen seiner Finger auf ihrer Haut. Seine Handgriffe waren fest und einfühlsam zugleich. Das Feuer hinter ihr knisterte, doch die Hitze, die sie spürte, war nicht alleine den Flammen zuzuschreiben.
„Du hast sehr kleine Füße für deine Größe.“ Interessiert blickte Victorian sie an.
Eloïse schreckte aus ihren Fantasien auf. „Äh ja“, sagte sie. „Korin sagt immer, es sei ein Wunder, dass ich nicht nach vorne umfalle mit meinen Zwergenfüßchen.“
„Unsinn! Ich mag kleine Füße. Überhaupt gefällt mir dein Körperbau sehr gut.“ Er strich mit der Hand an ihrem Unterschenkel entlang, und Eloïse verschlug es die Sprache.
„Du hast lange, schlanke Gliedmaßen“, fuhr Victorian unbeirrt fort, „wie ein Reh. Ich muss bei dir immer an diese edlen Tiere denken.“
War er betrunken? Sie sah ihn prüfend an. Er meinte es vollkommen ernst!
„Weißt du“, erklärte Victorian, „mir werden ständig Damen vorgestellt. Und aus irgendeinem Grund, den ich nicht kenne, denken sie alle, mir gefielen üppige Formen. Aber so ist es nicht.“ Er schüttelte sich. „Sie pressen sich in zu enge Kleider, mit Ausschnitten, in denen man fast den Bauchnabel sieht.“ Er lächelte. „Du bist zum Glück anders.“
„Victorian“, fragte Eloïse zwischen Lachen und Weinen, „meinst du nicht, du übertreibst es gerade ein bisschen?“
Verständnislos sah er sie an.
„Du sitzt halb nackt vor mir, mit einer Hand unter meinem Rock und erzählst mir Dinge, die ich eigentlich nur von meinem Ehemann hören dürfte.“
„Oh!“ Tatsächlich schien er erst jetzt zu bemerken, wie delikat die Situation war, und seine Wangen färbten sich rot. „Ich wollte dich keinesfalls kompromittieren, es war nur … Ich habe gesprochen, ohne zu denken. Es kommt nie wieder vor.“ Verwirrt ließ er sie los und wollte aufstehen.
Eloïse beugte sich nach vorne und drückte ihre Hände auf seine Schultern. Breite, sehr wohlgeformte Schultern. „Kein Grund zur Panik, Victorian! Niemand hat es gesehen, und meinen zukünftigen Gemahl wird es auch nicht stören ... wenn ich jemals einen bekommen sollte.“ Von daher könnte er eigentlich auch weitermachen.
„Das steht ja wohl außer Frage, dass dich irgendwann jemand heiraten will“, sagte er und kniete sich wieder vor sie hin.
„Deinen Glauben möchte ich haben.“ Sie lachte bitter. „Was kann eine Frau in meiner Situation erwarten? Ich
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