Das rote Band
Eloïse kam ins Zimmer. „Du musst dir zuerst seinen rechten Arm ansehen, Joanna.“
Während Eloïse zum Bett kam, schob Joanna Ians Hemdsärmel nach oben. Als sie den Verband entdeckte, legte sich ihre Stirn in Falten. Sie löste den Knoten, entfernte die Bandagen und blickte entsetzt auf die hässliche gerötete Wunde an seinem Unterarm, die zu eitern begonnen hatte. „Eloïse, wieso weiß ich davon nichts?“, rief sie. „Ians Fieber ist die Folge dieses Wundbrandes hier!“
„Tut mir leid, Joanna“, erwiderte Eloïse zerknirscht. „Ich musste versprechen, niemandem etwas zu sagen!“
„Oh, dieser Sturkopf!“ Joanna stand auf. „Bleib bei ihm, ich hole Kräuter zum Reinigen der Wunde aus der Apotheke.“
Eloïse nahm Joannas Platz auf dem Bett ein und griff nach Ians Hand. Sie war heiß und trocken. Hoffentlich wurde er bald wieder gesund! Sie fühlte sich furchtbar schuldig an seinem Zustand.
Kurz darauf kam Joanna zurück. Sie bat Eloïse, Ians Arm festzuhalten, während sie die Verletzung mit einem Kräutersud auswusch. Ian stöhnte unter der Behandlung und wälzte sich unruhig im Bett umher. Eloïse sprach beruhigend auf ihn ein, und schließlich öffnete er im Fieberwahn seine Augen und lächelte sie an.
„Danke, Charlotte“, flüsterte er matt.
„Wie geht es Ian heute?“ Galad stand mit Jake an Ians Bett und betrachtete Joanna besorgt.
„Unverändert.“ Joanna strich sich über das Gesicht. „Hohes Fieber wechselt mit Schüttelfrost, und, wenn er aufwacht, erkennt er niemanden mehr.“ Sie schüttelte den Kopf und tauchte ein frisches Stofftuch in den Wassereimer. „Das Fieber sinkt einfach nicht, egal, was ich mache“, rief sie verzweifelt. „Es dauert jetzt schon fast eine Woche!“ Sie rieb sich mit dem Ärmel über die müden Augen. „Und er trinkt kaum etwas, weder Brühe noch Wein und erst recht nicht den Kräutersaft. Wenn er nicht bald mehr Flüssigkeit zu sich nimmt …“ Sie biss sich auf die Lippen.
„Lass mich dir helfen.“ Sanft, aber bestimmt nahm Galad ihr das feuchte Tuch aus der Hand und tupfte die Schweißperlen von Ians Stirn.
Mit hängenden Schultern sah Joanna ihm zu. „Ich fühle mich so hilflos“, gestand sie. Ian war stark, aber auch seine Stärke hatte Grenzen. Und jeder weitere Tag, den er im Fieber verbrachte, verstärkte ihre Angst, dass sein Körper im Kampf gegen die Krankheit unterliegen könnte. „Ich will Ian nicht verlieren“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.
„Das wirst du auch nicht.“ Jake legte seinen Arm um ihre Schulter.
Bei den Worten ihres Bruders fuhr Joanna herum, und ihre Angst verwandelte sich in Wut. „Tu nicht so falsch, Jake!“, rief sie und stieß ihn weg. „Du wartest doch nur darauf, dass Ian stirbt.“
Jake starrte seine Schwester an. „Joanna, du weißt nicht, was du sagst.“
„Oh doch!“, schrie sie. „Schließlich hast du Ian letztes Jahr zweimal beinahe umgebracht.“ Voll Wut trommelte sie mit den Fäusten auf die Brust ihres Bruders. „Und nun würdest du ihm am liebsten ein Kissen aufs Gesicht drücken, damit du ihn los bist!“
Jake holte aus und verpasste ihr eine Ohrfeige.
Joanna verstummte und fasste mit den Fingern an die Stelle ihres Gesichts, wo er sie getroffen hatte.
Jake fluchte. Es war das erste Mal, dass er Joanna geschlagen hatte. Er sah zu Galad. Sein Freund wirkte erschrocken, nickte dann aber zustimmend. Jakes Blick wechselte zu Ian. Ian hatte die Augen geöffnet, schien jedoch von der Szene nichts mitbekommen zu haben, sonst wäre er wohl kaum so ruhig geblieben. Er wandte sich zu seiner Schwester. „Joanna?“
Sie senkte den Kopf. „Es tut mir leid, Jake. Ich habe mich vergessen.“
„Da gibt es nichts zu entschuldigen“, antwortete er sanft. „Komm her.“ Er zog sie an sich und strich ihr über den Rücken. „Wenn du willst, lasse ich die alte Heilerin aus dem Dorf kommen. Oder ich schicke nach dem Medicus in Kerlington. Ian wird wieder gesund werden, das verspreche ich dir.“ Jake seufzte innerlich. Er wünschte Ian wirklich nicht den Tod. Er wünschte sich nur, sie wären ihm nie begegnet.
Ian hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Waren erst ein paar Tage vergangen oder waren es Wochen? Er bekam kaum etwas mit, was um ihn herum geschah. Wenn er für kurze Zeit zu Bewusstsein kam, saß immer jemand neben seinem Bett, der leise auf ihn einsprach und ihm etwas zu trinken anbot: Galad, Eloïse, ein Diener, aber meistens Joanna. Und das war gut so. Denn
Weitere Kostenlose Bücher