Das rote Band
Raine jedoch war vollkommen hilflos. Ian wendete sein Pferd, um den Studenten zu befreien, aber zwei Söldner schnitten ihm den Weg ab. Er riss sein Schwert hoch und parierte ihre Schläge. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Samuel auf Raine zuritt – vermutlich, um Raine als Druckmittel zu benutzen und ihn zum Aufgeben zu zwingen. Verdammt, Samuel wusste genau, dass er das Leben des Studenten nicht riskieren würde! Kurz entschlossen sprang Ian aus dem Sattel und ließ seine zwei Gegner verblüfft zurück. Zwischen den Reitern hindurch rannte er auf Raine zu, darauf konzentriert, den Hieben, die von allen Seiten auf ihn niederprasselten, auszuweichen. Hinter ihm erklang weiterhin das Klirren von Schwertern, Victorian kämpfte also noch. Halte bloß durch, Junge , dachte Ian und rollte sich unter einem Pferd durch, bevor sein Reiter ihn mit einer Pike durchbohren konnte. Wo zum Teufel blieb Jake?
In diesem Augenblick hörte Ian das Herannahen von Pferdehufen und die Angriffsschreie der Soldaten in der Dunkelheit. Die Söldner, die aufgrund ihrer Übermacht den Kampf gegen ihn und Victorian als sicheres Spiel erachtet hatten, fuhren herum, und Zacharias zog nun ebenfalls sein Schwert. Die Soldaten von Greystone waren in der Überzahl, und sie würden die Schlacht gewinnen, solange die Söldner keinen der drei Studenten wieder in ihre Gewalt bekamen. Schnell wandte Ian den Kopf zu Raine und stellte erleichtert fest, dass Will und Jake an dessen Seite waren und Samuel und zwei weitere Söldner in Schach hielten. Am anderen Ende des Kampfplatzes wehrte sich Victorian immer noch erfolgreich gegen seinen Angreifer, doch mehrere berittene Söldner hatten einen Halbkreis um ihn und Eloïse gebildet und verhinderten so die Vorstöße von Jakes Soldaten. Ian rannte los, um den beiden Studenten zu Hilfe zu eilen, doch Zacharias erkannte sein Vorhaben.
„Nicht so schnell, Fechtmeister!“ Der Hauptmann sprang vor ihm aus dem Sattel und hob seine Waffe.
Fluchend blieb Ian stehen und riss sein Schwert hoch. Victorian musste wohl noch eine Weile alleine durchhalten. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Anführer der Söldner.
Eloïse zitterte vor Angst, während sie hinter Victorian auf dem Pferd saß. Zacharias Männer hatten sie umzingelt, und den Soldaten der Burgwache gelang es nicht, den Ring zu durchbrechen. Victorian wehrte sich standhaft gegen den Söldner, der ihn attackierte, trotzdem kam der Mann immer dichter heran. Wenigstens war es ihr gelungen, die Fesseln an ihren Händen zu lösen. Am liebsten hätte sie sich an Victorian geklammert, aber damit hätte sie seine Bewegungen noch mehr behindert, als sie es ohnehin schon tat. Das metallische Aufeinandertreffen der Schwerter dröhnte in ihren Ohren, und ihre Furcht wuchs mit jedem Schlag. Inzwischen hatten sich trotz der Kälte Schweißtropfen auf Victorians Stirn gebildet, und seine Kraft schien zu erlahmen. Wie lange würde er den Kampf noch durchhalten? Eloïse beugte sich zur Seite und sah sich verzweifelt nach Ian um – doch das war ein Fehler. Das Schwert des Söldners sauste auf sie nieder, und sie schrie auf. Victorian warf sich nach hinten, um sie zu schützen, und die Klinge fuhr durch sein Gesicht. Er stöhnte, und das Schwert fiel aus seiner Hand. Eloïse schlang ihre Arme um ihn, aber es gelang ihr nicht, Victorian festzuhalten. Mit einem Schmerzenslaut stürzte er aus dem Sattel, begleitet vom hämischen Gelächter seines Gegners.
Der Söldner glitt von seinem Pferd herunter und trat auf Victorian zu, der vor ihm auf der Erde lag und die Hände auf sein blutüberströmtes Gesicht presste. „Ich hätte nie gedacht, dass mir mal ein Duke zu Füßen liegt“, sagte der Mann und hob sein Schwert. „Und nun, Euer Durchlaucht , ergebt Euch, sonst ...“ Er verstummte und starrte überrascht auf das Messer, das in seinem Bauch steckte. Im Fallen sah er ungläubig die junge Frau auf dem Pferd an, die es unbemerkt aus den Falten ihres Kleides hervorgezogen und geworfen hatte.
„Erstens heißt es Euer Gnaden “, keuchte Eloïse, „und zweitens hätte ich auch nie gedacht, dass mal jemand vor mir auf dem Boden liegt!“ Sie sprang vom Rücken des Pferdes, kniete sich neben Victorian und drückte ihm den Stoff ihres Rockes an die Wange, um die Blutung zu stillen.
„Wirklich bedauerlich, dass ich dich jetzt töten muss“, sagte Zacharias und parierte Ians Hieb, „du bist ein guter Kämpfer, wenn auch deine Taktik auf die Dauer
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