Das rote Band
Gesicht. „Ian, wie du sie damals angesehen hast, deine Augen haben Bände gesprochen! Zwar wusste ich zu diesem Zeitpunkt weder wer du warst noch, dass du keine vierundzwanzig Stunden später mit uns auf dem Weg nach Greystone sein würdest, doch dein Interesse an ihr war nicht zu übersehen.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: „Bei Joanna war es mir klar, als sie das erste Mal von Tante Sophie zurückkam und dich bei besagtem Eröffnungsbankett suchte. Sie ist nach ihrer verspäteten Ankunft mehrmals an mir vorbeigelaufen und hat es nicht einmal bemerkt, weil sie nur dich im Kopf hatte! Und als ihr beide dann zusammen vom Balkon in den Festsaal kamt, da war es mir so deutlich, wie es enden würde. Und ich beschloss, etwas zu unternehmen, um es zu verhindern.“
Ian verschränkte die Arme vor der Brust. „Indem du Joanna schnellstmöglich verheiratest?“
„Ja“, gab Jake zu, „denn außer dir hatte auch Adcoque ein Auge auf sie geworfen. Als Joannas Ehemann und Gründungsmitglied hätten die Chancen für ihn sehr gut gestanden, an meiner Stelle Akademieleiter und Earl zu werden. Deshalb war er mir damals genauso unrecht wie du.“
Ian schaute ihn böse an. Die Zeit, als Jakes Feindseligkeiten begonnen hatten, hatte er in keiner guten Erinnerung.
„Ich bin ein erstgeborener Sohn, Ian“, rechtfertigte sich Jake. „Vom Tag meiner Geburt an wurde ich dazu erzogen, Earl zu werden! Diese Haltung streift man nicht so leicht ab.“ Jake zuckte mit den Schultern. „Auch wenn du es nicht glaubst, dich und Joanna zu trennen, hat mich sehr bedrückt. Am schlimmsten war es nach deiner Rückkehr nach der Zwischenprüfung. Ich sah, dass es zwischen dir und meiner Schwester nicht mehr stimmte, und ich wusste auch, warum, schließlich hatte ich dich selbst um Geheimhaltung deiner Ehrlosigkeit gebeten.“
Jake schwieg einen Moment, und Ians Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Er hatte sich damals Joanna gegenüber sehr unhöflich benommen, um sie auf Abstand zu halten und damit ihren Ruf zu schützen. Ein Verhalten, das ihn genauso gequält hatte wie sie.
Als Jake weitersprach, zeigte sich, dass er an das Gleiche gedacht haben musste. „Diese Wochen waren furchtbar, auch für mich“, erklärte er. „Vor allem die Abende, die Joanna und ich hier in der Bibliothek verbrachten. Sie war den Tränen nah wegen dir, und ich wegen Galads Fortgehen nach unserem Streit über meine Heiratsabsichten. Wie zum Hohn standen uns stets die zwei leeren Sessel gegenüber, auf denen ihr beide immer gesessen habt – wie eine spöttische Erinnerung an die lustige Zeit, die wir zu viert hier verbracht hatten. Doch weder Joanna noch ich haben es übers Herz gebracht, die Möbel wegzuräumen. Wir beide hatten die Hoffnung, alles würde noch gut werden, auch wenn es damals nicht so aussah.“ Nachdenklich strich Jake über die Lehne seines Sessels, bevor er Ian wieder ansah. „Es hat mich sehr geschmerzt, meine Schwester so leiden zu sehen. Wäre Joanna nicht Tante Sophies Einladung zu einem längeren Besuch in Skye Forrest gefolgt, ich hätte ihr alles erzählt, nur, um sie wieder lachen zu sehen. Tja, aber Joanna ging nach Skye Forrest, und danach kam Prinz Kaylan. Ich konnte mein Glück nicht fassen.“
„Das habe ich gemerkt“, erwiderte Ian verdrossen. Er hatte Prinz Kaylan sehr gerne gemocht, bis er herausfand, dass dieser sich in Joanna verliebt hatte und sie mit ins Südland hatte nehmen wollen.
Jake neigte den Kopf. „Ian, nun wirst du für deine Leiden mehr als entschädigt werden, mit Joannas Hand und Greystone.“
„Ich kann nicht Earl sein“, wiederholte Ian seine früheren Worte.
„Vergiss nicht, du hast Joanna an deiner Seite sowie die gesamte Burg.“ Jake betrachtete einen Moment die Flammen im Kamin. „Wenn ich dich schon immer um etwas beneidet habe, Ian, dann um deine Fähigkeit, schnell Freunde zu finden. Mir gelingt das nicht. Wären nicht die Söldner gekommen, ich hätte dich trotzdem zurückholen müssen, sonst hätte es einen Aufstand in der Burg gegeben. Selbst die Köchin wollte deinetwegen Greystone verlassen – nach über zwanzig Jahren!“
Ian lachte. „Nur du bist scheinbar gegen meinen unwiderstehlichen Charme resistent“, erwiderte er, doch die Wehmut in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Hast du eine Ahnung“, murmelte Jake, und ein feines Lächeln umspielte seinen Mund. „Warum habe ich mich wohl zwischen dich und Zacharias‘ Messer geworfen? Nicht wegen
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