Das rote Band
Joanna, jedenfalls nicht ausschließlich. Auch nicht aufgrund der Tatsache, dass es eine wunderbare Gelegenheit war, mich für deine vielen Rettungsaktionen zu revanchieren. Und erst recht nicht“, sein Grinsen wurde breiter, „um mal wieder in deinen Armen zu liegen.“ Sein Lachen erstarb. „Ian, ich hätte es nicht ertragen, neben Samuel noch einen Freund an die Söldner zu verlieren. Denn ein Freund bist du für mich geworden, auch, wenn ich es lange Zeit nicht so sehen wollte. Das bedauere ich jetzt, weil unsere gemeinsame Zeit sich dem Ende zuneigt.“
Ian wollte widersprechen, doch Jake fuhr fort: „Bennetts Nachricht kam gestern: Der Feldzug ist beendet. Der König wird spätestens in drei Monaten in Greystone eintreffen, und dann werden sich unsere Wege trennen.“ Er legte die Fingerspitzen aneinander. „Bevor ich jetzt gehe, sollst du noch Folgendes wissen: Ich habe dich aus Darkwood mitgenommen, nicht nur, weil du Ronens Bruder bist, sondern, weil ich von dir als Mensch überzeugt war. Und egal, was ich jemals gesagt habe, ich hätte dich niemals dorthin zurückgeschickt.“ Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „In meiner Selbstsucht habe ich dich lange als meinen Gegner betrachtet. Ich war eifersüchtig auf dich, weil dir scheinbar alles in den Schoß fiel: der Ruf als begabter Kämpfer, Anerkennung in der Akademie sowie Galads Vertrauen und Joannas bedingungslose Liebe. Gefangen in meinen Ängsten begriff ich nicht, dass du mir nichts wegnehmen willst – vor allem nicht die Zuneigung meiner Schwester. Erst als Zacharias sein Messer zog und ich deinen Tod vor Augen hatte, verstand ich meinen Irrtum: Ich verliere durch dich nichts, sondern ich gewinne dazu.“ Er lächelte hoffnungsvoll. „Vielleicht kannst du mir mein Verhalten irgendwann verzeihen, Ian.“
Vollkommen überwältigt über dieses Geständnis saß Ian in seinem Sessel, während Jake schwerfällig aufstand.
Auf die Sessellehne gestützt fuhr der Earl fort: „Die Diskussion um deine Entlohnung haben wir nie zu Ende geführt. Da aber deine Anwesenheit in Greystone für mich unbezahlbar geworden ist, kann ich dir nur anbieten, zu nehmen, was du brauchst. Du besitzt in jeder Hinsicht mein uneingeschränktes Vertrauen.“
Ian, der sich ebenfalls erhoben hatte, war immer noch sprachlos. Jake machte einen Schritt nach vorne, und Ian fürchtete, er hätte einen Schwächeanfall. Stattdessen legte Jake ihm die Arme um die Schulter und drückte ihn an sich.
„Gute Nacht, mein Freund. Lass Joanna nicht mehr so lange warten.“ Dann drehte sich der Earl of Greystone um und verließ langsam den Raum.
Ian starrte noch lange auf die geschlossene Tür, fassungslos und mehr als erstaunt über das gerade Geschehene. Schließlich überzog ein breites Lächeln sein Gesicht, und er hatte das Gefühl, gar nicht schnell genug zu Joanna gelangen zu können, um ihr von diesem unerwarteten nächtlichen Besuch zu erzählen. Er rannte aus der Bibliothek, sprang die Stufen des Treppenturms hinauf und riss Joannas Zimmertür auf. Sie saß auf ihrem Bett, und an ihrem Blick erkannte er, dass sie Bescheid wusste. Ian drehte den Schlüssel herum, dann lief er auf sie zu und nahm sie in die Arme. Joanna schmiegte sich an ihn und streichelte seinen Rücken. Worte waren nicht nötig. Er spürte ihre tiefe Erleichterung und wusste, dass sie seine Freude über Jakes Freundschaftsangebot teilte.
Und um über alles andere zu sprechen, was Jake ihm mitgeteilt hatte, waren noch drei Monate Zeit.
„Wo ist Eloïse?“ Galad, der am späten Vormittag nach Greystone zurückgekehrt war, ließ sich zu Joanna, Ian und Jake am Mittagstisch nieder. „Ich dachte, sie wollte die gesamten Winterferien in Greystone verbringen wegen der starken Schneefälle im Parnea-Gebirge?“
„Ich weiß nicht, wo sie steckt“, wunderte sich Joanna. „Ich habe sie seit dem Frühstück nicht mehr gesehen.“ Sie rief ein Dienstmädchen zu sich und beauftragte es, nach Eloïse zu suchen.
Kurze Zeit später kehrte die Magd in die große Halle zurück. „Mylady?“ Unsicher blieb sie vor Joanna stehen. „Lady Eloïse war nicht auf ihrem Zimmer. Ihr Umhang fehlt und ebenso ihre Tasche, und ich habe das auf ihrem Bett gefunden.“ Sie hielt Joanna ein beschriebenes Stück Papier hin.
Joanna nickte und nahm das gefaltete Blatt, das mit ihrem Namen beschriftet war, entgegen. Während sich das Dienstmädchen entfernte, überflog Joanna den Inhalt des Schreibens. „Oh je“,
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