Das rote Band
müssen.“
Joanna war entsetzt. „Eine Nacht mit einer Frau? Kannst du das denn, Jake?“
Er lächelte freudlos. „Ich habe dir doch erzählt, ich weiß mit Frauen … umzugehen . Außerdem bleibt mir noch der Wein, um alles erträglicher zu machen.“
„Oh je!“ Sie strich ihrem Bruder über den Arm.
„Es gefällt mir auch nicht, aber es bleibt keine andere Möglichkeit, die Gerüchte zu zerstreuen. Irgendwie werde ich es überstehen.“
Joanna blickte zu Galad. Dessen Gesicht hatte bei dem Thema einen ungewohnt zornigen Ausdruck angenommen. Trotzdem musste sie ihm eine Frage stellen, auch wenn es ihn vermutlich noch mehr verärgern würde. „Galad, ist es wirklich gut, wenn wir dich nach Hause begleiten? Dein Vater könnte immer noch sehr ungehalten sein und …“ Sie geriet ins Stocken.
„Du meinst, wenn mein Vater uns alle drei rauswirft?“ Galad lächelte. „Könnte passieren. Deshalb nehme ich euch auch nicht mit.“
„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, gestand Joanna verwirrt.
Auch Ian schüttelte den Kopf. „Warum hast du es dann so laut angekündigt und uns packen lassen?“
„Laut geredet habe ich, damit die Dienerschaft es hört. Gepackt habt ihr, weil ihr tatsächlich verreisen werdet. Alle denken, ihr kommt mit mir nach Lionsbridge. Dass ihr niemals dort ankommt, wird keiner erfahren.“
Jake zog einen großen, verzierten Schlüssel aus seiner Tasche hervor und reichte ihn Joanna.
„Ist das der Schlüssel …?“ Sie sah ihn ungläubig an.
„… zum Jagdhaus, genau“, sagte er. „Du und Ian dürft die nächsten zwei Monate dort alleine verbringen.“ Jake bemerkte den immer noch fassungslosen Blick seiner Schwester. „Und bevor du fragst: Wenn mir etwas genauso wichtig ist wie dein Ruf, dann dein Wohlergehen – das habe ich in den vergangenen Tagen begriffen. Dich gehen zu lassen, ist für mich nicht einfach, aber vielleicht kannst du die Zeit im Jagdhaus als Wiedergutmachung ansehen für die letzten Monate, in denen ich auf deine Wünsche keinerlei Rücksicht genommen habe.“
Joanna ging einen Schritt nach vorne und schlang die Arme um den Hals ihres Bruders. „Danke, Jake. Das ist sehr großzügig von dir.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie zu Ian zurücktrat.
„Was ist das Jagdhaus?“, erkundigte sich Ian. „Ich höre davon zum ersten Mal.“
„Ein kleiner, einfacher Bau, zwei Stunden von hier entfernt“, erklärte Joanna. „Er liegt verborgen an einem See im Wald. Eine Kaminstube, die als Esszimmer und Küche dient, und ein Schlafraum.“
„Aber das Wichtigste ist“, ergänzte Galad, „das Bett ist wunderbar groß und herrlich bequem.“
Verdutzt schaute Joanna ihn an. „ Du warst auch schon da?“
Galad lachte. „Jake alleine hätte wenig Sinn gemacht, oder?“
„Und ich dachte immer, mein Bruder hätte dort heimliche Treffen mit Damen“, antwortete sie.
„Das solltest du auch“, erwiderte Galad. „Aber jetzt dürft ihr euch dort … nun ja … besser kennenlernen.“
„Ich habe den Eindruck“, sagte Jake, „die beiden kennen sich schon sehr gut – und das nicht erst seit vorgestern.“
Joanna errötete.
„Ha!“, rief Jake. „Ich wusste es. Seit wann?“
Ian legte Joanna einen Finger auf den Mund. „Dein Bruder muss nicht alles wissen. Lassen wir ihm seine Fantasien. Außerdem würde er tot umfallen, wenn er erführe, wann ich das erste Mal mit dir das Bett geteilt habe.“
Joanna kicherte, und Ian grinste bei der Erinnerung an diesen denkwürdigen Abend. Weil Jake ihm damals den Umgang mit seiner Schwester verboten hatte, war er nachts heimlich in Joannas Zimmer eingestiegen, um mit ihr zu reden. Unglücklicherweise hatte Jake kurz darauf Joanna in ihrem Zimmer aufgesucht. Für eine Flucht aus dem Fenster war keine Zeit geblieben, sodass er sich neben Joanna unter ihrer Bettdecke versteckt hatte.
„Schluss jetzt!“, befahl Jake, „bevor ich mir die Sache doch noch anders überlege.“ Er half Joanna beim Aufsitzen und gab ihr einen Beutel mit Münzen. „Ein Ehepaar aus einem nah gelegenen Bauernhof wird euch mit Essen und allem anderen versorgen.“
„Ist das nicht riskant?“, fragte Joanna.
„Nein“, antwortete Jake, „sie werden seit Jahren von mir für ihr Schweigen gut bezahlt.“ Er wandte sich an Ian und legte die Hand auf dessen Schwert. „Es ist einsam dort, aber seid trotzdem wachsam.“
Die drei Reiter trabten an, und Jake hob zum Abschied die Hand. „Im Juli erwarte ich euch
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