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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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beigebracht hatten. Auch sein Bruder Ronen hatte ihn viel gelehrt, und von den Bauern, in deren Dorf er aufgewachsen war, hatte er den Umgang mit dem Bauernprügel erlernt. Als Ian Letzteres erwähnte, entstand ein Gemurmel unter den Soldaten.
    „Du beherrschst den Umgang mit dem Bauernprügel, Ian?“, fragte schließlich Tam, der ebenfalls zu den Zuhörern gehörte. „Connor ist ein wahrer Meister darin, er ist ebenfalls in einem Bauerndorf aufgewachsen. Einem Kampf zwischen euch beiden würde ich gerne einmal zusehen.“ Zustimmende Rufe erklangen, unter die sich erste Wettangebote mischten.
    Überrascht sah Ian Connor an. Die einfachen Soldaten rekrutierten sich aus talentierten Bauernsöhnen, doch die höheren Ränge bekleideten Adlige. Da Connor der Hauptmann war, und in der Befehlsgewalt nur Sir Perrin unterstand, hatte Ian vermutet, dass er zumindest dem Ritterstand entstammte. „Du bist kein Adliger, Connor?“, fragte er erstaunt.
    „Nein“, erwiderte Connor kalt, und ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. „Diese Gnade ist mir nicht zuteilgeworden.“
    Ian wunderte sich über diese harsche Antwort des sonst so freundlichen Mannes, doch bevor er nachhaken konnte, war Connors Unmut bereits wieder verschwunden.
    „Was ist mit dem Kampf?“, rief Tam ungeduldig.
    „Heute nicht mehr“, antwortete Ian und schüttelte den Kopf. „Ich hatte für diesen Tag schon genug Waffen in der Hand. Aber ich komme morgen früh gerne für ein kleines Duell vorbei, falls Connor Zeit hat.“
    „Ja, das passt.“ Connor nickte. „Früher kam der alte Fechtmeister regelmäßig hierher, um mit uns zu trainieren. In den letzten beiden Jahren allerdings wurden seine Besuche immer seltener.“
    Ian lächelte. „Dann wäre morgen ein guter Zeitpunkt, diese Tradition wieder aufleben zu lassen.“
    „Ich freue mich darauf, Ian“, erwiderte Connor und klopfte ihm auf den Arm. Und unhörbar setzte er dazu: „Du ahnst gar nicht, wie sehr.“
     
    Joanna betrat die Waffenhalle und nahm leise auf den Zuschauerrängen Platz. Sie hatte Ian gesucht und ihn, wie so oft in den letzten drei Wochen seit ihrer Rückkehr aus dem Jagdhaus, hier gefunden. Im Schein der Fackeln stand er mit seinem Schwert auf der Kampffläche und hatte ihr Kommen nicht bemerkt. Er war vertieft in seine Übungen, und da er sein Hemd ausgezogen hatte, verfolgte Joanna gebannt das Spiel der Muskeln auf seinem Rücken. Mittlerweile war sie mit jedem Zentimeter seines Körpers vertraut, doch dieser Anblick faszinierte sie immer wieder aufs Neue. Nur die vielen Narben, die sich über Ians Oberkörper und seine Arme zogen, trübten Joannas Begeisterung.
    Wegen eines banalen Vorfalls hatte sein Vater Ian zur Strafe aus dem Bauerndorf ins Tagelöhnerhaus verbannt. Die dort lebenden Männer waren brutal und gewalttätig gewesen, und hatten Gefallen daran gehabt, den Sohn ihres Dienstherrn zu misshandeln. Doch Ian hatte sich gegen ihre Angriffe zur Wehr gesetzt. Am Anfang hatte er die Auseinandersetzungen meist verloren und war schwer verletzt worden, doch schließlich hatte er sich den Kampfstil und die Tricks der Tagelöhner angeeignet und somit überlebt – wenn auch am Rande seiner Kräfte. Die harte Arbeit auf dem Feld und in der Burg, das karge Essen und die ständigen Kämpfe hatten ihren Tribut gefordert. Mit Grausen erinnerte sich Joanna daran, wie sie Ian zum ersten Mal mit unbekleidetem Oberkörper gesehen hatte: Jede Rippe hatte sich einzeln abgezeichnet und hässliche, schlecht verheilte Wunden hatten seine Brust und seinen Rücken überzogen. Es hatte Wochen gedauert, bis Ian sich in Greystone wieder völlig erholt und verinnerlicht hatte, dass niemand ihm mehr nach dem Leben trachtete. Zum Glück war diese Zeit für immer vorbei, dachte Joanna und genoss es noch eine Weile, Ian bei seinen Waffenübungen zu beobachten, bevor sie ihn rief.
    Verschwitzt und lächelnd kam Ian zu ihr an die Tribüne. Da sie alleine waren, küsste er sie zur Begrüßung auf den Mund. „Ich weiß, was du sagen willst, Joanna – ich soll in mein Bett gehen.“
    „Genau genommen in mein Bett“, korrigierte sie ihn, „aber richtig, es ist spät. Morgen reisen die Studenten an, das willst du bestimmt nicht verschlafen.“
    Er nickte. „Du hast recht. Geh vor, ich lösche die Fackeln und komme zu dir.“
    Joanna strich ihm eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, stand auf und verließ die Halle. Die Zeit seit ihrer Rückkehr nach Greystone war schnell vergangen. Sie

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