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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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wenigstens was zu lachen!“
    Hinter ihnen räusperte sich Lord Lionsbridge vernehmlich, und die Damen hielten sich, wenigstens für diesen Abend, mit weiteren Kommentaren zurück.
     

12
     
     
    War Eloïse die erste Woche in Greystone schier endlos vorgekommen, schien die Zeit nun zu fliegen. Ihre Tage waren angefüllt mit Unterricht, Training und Lernen. Die wenigen verbleibenden freien Stunden verbrachte sie mit Victorian im Gewächshaus. Und so unglaublich es für sie und alle anderen war: Victorian und sie hatten Freundschaft geschlossen. Vom freien Training am Abend abgesehen, waren sie immer zusammen. Von ihrem tiefen Gefühl für ihn durfte er natürlich weiterhin nichts ahnen.
    In ihrer Rolle als Mann fühlte sich Eloïse zunehmend sicherer. Keiner schien ihre Identität anzuzweifeln, und sie genoss die Freiheiten, die das Männerdasein ihr bot. Niemand beschwerte sich, sie sei zu vorlaut, zu neugierig oder zu wissbegierig. Natürlich musste sie manchen Rüffel für ihre vorwitzigen Bemerkungen einstecken, aber sie empfand es nie so abwertend, wie sie es als Frau erlebt hatte. Einzig problematisch blieb der Schwertkampf: Ihre Fortschritte waren gering, so sehr Ian sich auch bemühte. Der ehrlose Fechtmeister war neben Victorian ihr zweiter Freund in Greystone geworden. Er sprach ihr Mut zu, wenn sie am Training verzweifelte, und ließ sie immer wieder spüren, dass er sie nicht aufgab. Unermüdlich arbeitete er mit ihr und band sie in die Übungseinheiten der anderen ein, trotz ihres miserablen Könnens. An Ians ungewöhnlichen Trainingsmethoden zweifelte keiner der Studenten mehr, von Victorian einmal abgesehen, aber das blieb ein Streitpunkt zwischen ihm und ihr. Ian teilte die jungen Männer meist in kleine Gruppen ein, die unter der Leitung eines starken Kämpfers standen: Raine, Harper, Will oder Victorian. Er selbst hatte so Zeit, sich um einzelne Studenten – starke wie schwache – ausgiebig zu kümmern. Eine Methode, so hatten sie nun erkannt, welche allen Vorteile bot.
    Auch außerhalb der Waffenhalle war Eloïse gerne mit Ian zusammen, was Victorian missfiel. Mit ihrer Vermutung über Ian und Lady Joannas Liebe war sie nun absolut sicher: Die verstohlenen Blicke, die sich beide zuwarfen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, waren mehr als eindeutig. Genauso eindeutig war leider auch, dass Ian sich mit dem Earl of Greystone nicht gut verstand, was jedoch niemand außer ihr aufzufallen schien. Trafen beide zusammen, waren die Spannungen zwischen ihnen fast greifbar, selbst wenn sie sich freundlich unterhielten. Dabei war der Earl ein netter Mann, und trotz ihrer anfänglichen Ablehnung gefiel Eloïse sein Unterricht sehr gut. Genauso verhielt es sich mit Lord Lionsbridge. Sie empfand große Sympathie für den feinsinnigen Lehrer, der die Studenten in die Geheimnisse von Politik, Diplomatie und Rhetorik einweihte. Mittlerweile ärgerte sie sich über sich selbst, wie vorbehaltlos sie den Gerüchten über ihn, den Earl und Ian geglaubt hatte. Inzwischen fragte sie Ian fast jeden zweiten Tag, ob der König seinen Feldzug beendet und sein Kommen in Greystone angekündigt habe. Doch jedes Mal schüttelte Ian den Kopf, und das rote Band blieb um sein Handgelenk gebunden.
     
    „Wo ist Korin?“ Ian stand in der Waffenhalle und wollte mit dem Training beginnen. Fragend sah er die Studenten an.
    „Krank“, antwortete Victorian. „Er hat den gestrigen Tag bereits im Bett verbracht.“
    Ian nickte. Er würde später persönlich nach Korin sehen. Denn in der Apotheke hatte sich der junge Mann nicht blicken lassen, das wusste er sicher.
    Nach dem Abendessen klopfte Ian an Eloïses Tür. Es dauerte eine Weile, bis er hereingebeten wurde. Er schritt ins Zimmer und stellte sich an das Fußende des Betts, wo Eloïse lag – die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Korin“, erklärte Ian sein Kommen. „Habe ich dich wieder überfordert?“
    „Nein, nein“, antwortete Eloïse rasch.
    „Was fehlt dir dann?“, wollte Ian wissen.
    „Ich habe … sehr starke Kopfschmerzen“, erwiderte sie zögernd.
    Ian warf ihr einen prüfenden Blick zu und umrundete das Bett, um sich auf den Stuhl zu setzen, der in der Nähe stand. Plötzlich blieb er stehen und bückte sich. Verwundert zog er einen großen Stapel an Verbänden unter dem Bett hervor. Sie waren unbenutzt und ordentlich gefaltet.
    „Korin“, sagte er streng. „Lady Joanna beschwerte sich unlängst bei mir,

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