Das rote Band
hat denn die ganze Vertretung übernommen, als ich noch nicht da war?“
Jake zog eine Augenbraue hoch. „Das Amt eines Lehrers ist ein anspruchsvolles. Es ist mehr, als Bauernjungen ein paar Schwertschläge beizubringen. Obwohl, wie ich gehört habe, gehst du dieser Tätigkeit auch wieder nach.“ Er verzog spöttisch die Mundwinkel. „Zeitlich scheinst du demnach nicht ausgelastet zu sein.“
Ian schluckte die Erwiderung, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, hinunter. Es hatte keinen Sinn, mit Jake zu debattieren: Er musste sich seinen Anforderungen stellen oder aufgeben. Aber diesen Triumph würde er ihm nicht gönnen. „In Ordnung. Sag Galad und Lord Tennison, wenn sie besondere Wünsche für die Vertretungsstunden haben, sollen sie es mich wissen lassen.“
Jake nickte und verließ nach einem Gruß an die Soldaten die Halle.
Connor legte Ian die Hand auf die Schulter. „Der Burgherr hat kein gutes Wort für dich“, sagte er leise. „Ärgere dich nicht.“
„Das ist leichter gesagt als getan.“ Ian schnaubte. Der junge Hauptmann hatte recht: Es waren nicht die Bemerkungen Ranlands gewesen, die ihn gekränkt hatten, sondern Jakes Antworten. Der Burgherr ließ keine Gelegenheit aus, ihn zu demütigen. Wie gerne würde er Jake dafür zur Rechenschaft ziehen – und mittlerweile nicht mehr nur mit Worten. Doch er war von ihm abhängig, und so musste er wohl oder übel die Zähne zusammenbeißen.
„Wir Soldaten schätzen deine Arbeit sehr, Ian, das musst du wissen“, erklärte Connor.
„Danke. Aber es geht nicht nur um meine Arbeit, es geht um … mich.“
Connor lächelte. „Vielleicht brauchst du einfach mal ein bisschen Abstand, eine kleine Pause“, schlug er vor.
„An was denkst du?“, fragte Ian interessiert.
„Du musst raus aus der Burg! In Chesmuir ist nächstes Wochenende Herbstmarkt. Der Trubel dort würde dich für ein paar Stunden ablenken und auf andere Gedanken bringen.“
Ian schüttelte den Kopf. „Eine schöne Idee, aber Chesmuir ist eine Stadt, und als Ehrloser darf ich keine Städte betreten.“
„Über die Jahre ist der Markt so groß geworden, dass sie ihn vor die Stadttore verlagert haben. Und bei den vielen Besuchern dort fällst du nicht auf.“
„Nein, das geht nicht, so verlockend der Gedanke ist.“ Ian stand auf. „Ich muss in die Waffenhalle.“
Auch Connor erhob sich. „Ich begleite dich ein Stück, ich muss die Wachschichten an den Toren kontrollieren.“
„Der Herbstmarkt in Chesmuir?“ Joanna schmiegte sich an Ian, der neben ihr im Bett lag. „Hört sich gut an. Die Studentinnen und Studenten werden sich über einen Ausflug dorthin bestimmt freuen.“
„Eigentlich hatte ich nur an uns beide gedacht“, sagte Ian. Die Vorstellung, statt mit Joanna unter Umständen mit Victorian über den Markt zu schlendern, gefiel ihm nicht. Der junge Walraven regte ihn inzwischen nicht minder auf als Jake. Andererseits hätten sich Korin, Finley und die anderen einen Marktbesuch redlich verdient.
Joanna lächelte. „Es sollte nicht zu schwierig für uns sein, in der Menschenmenge zu verschwinden.“
Ian reagierte mit einem zufriedenen Brummen. Die Aussicht, mit Joanna zusammen die Auslagen der Händler zu bestaunen, steigerte seine Laune schlagartig, nachdem er sich den ganzen Tag über Jakes Verhalten am Morgen geärgert hatte. „Vielleicht“, erwiderte er, „sollten wir deinem Bruder nicht sagen, dass ich dich und die Studenten nach Chesmuir begleite, sonst behauptet er wieder, ich sei faul und hätte nichts zu tun.“
„Jake übertrifft sich im Moment wieder selbst“, sagte Joanna. „Ich hatte wirklich angenommen, er hätte seine Vorbehalte gegen dich aufgegeben.“
Ian erwiderte nichts, und Joanna war in Gedanken bereits bei der Planung. „Sofort morgen früh spreche ich mit Jake und sage danach allen Studierenden Bescheid. Auch mit Sir Perrin muss ich reden, damit er uns Soldaten zur Begleitung mitgibt, und ebenso mit dem Rittmeister wegen Kutschen und Pferden.“ Sie fuhr mit dem Finger über seine Brust. „Ich kann es kaum erwarten, das wird ein wundervoller Tag werden!“
14
Chesmuir
Ian saß vom Pferd ab und beobachtete fasziniert das lustige Treiben, das sich ihm bot. Blaue, rote und gelbe Zelte standen dicht zusammengedrängt auf der Wiese vor den Mauern Chesmuirs. Der Klang von Flöten und Trommeln lockte zum Tanz, Händler priesen lautstark ihre Waren an, interessierte Kunden feilschten um den besten Preis und überall
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