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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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voran und zerschmetterte den Schädel des Roten mit seinem Stock. «Aufsässiger Hund!» fluchte er. Das Herz des Roten schlug noch, seine Lungen pumpten noch Luft, seine kräftigen Hinterläufe gruben sich störrisch in den Boden und kratzten zwei tiefe Furchen in die schwarze Erde. Das glänzendrote, schöne Fell strahlte wie Millionen Flammenzungen.
     
     
8
     
    Der Hundebiss war - wohl weil Vater zwei Paar Hosen trug - nicht so tief, wie er hätte sein können, aber die Folgen waren schlimm genug. Die Hundezähne hatten eine Seite des Hodensacks aufgerissen, und der Hoden, der an Größe und Gestalt einem Wachtelei glich, hing nur noch an einem dünnen Faden. Als Großvater seinen Sohn aufhob, fiel dem die kleine rote Kugel in die Hosen. Großvater fing sie in der Handfläche auf. Es sah aus, als wiege die kleine Kugel tausend Pfund, so beugte sich Großvater unter der Last. Seine große rauhe Hand zitterte, als brenne ihm der Hoden ein Loch in die Hand. «Onkel», fragte Mutter, «was hast du?»
    Sie sah ein schmerzhaftes Zucken über sein Gesicht laufen, seine blasse Haut wirkte, als überzöge sie eine gelbe Schicht, und aus den Augen sprach unvorstellbare Verzweiflung.
    «Es ist alles aus», murmelte er mit dünner Altmännerstimme, «es ist alles aus.»
    Er zog die Pistole und brüllte den Hund an: «Hund, du hast mir das Ende gebracht!»
    Er zielte auf den immer noch schwach atmenden Roten und gab ein paar Schüsse ab.
    Mühsam richtete Vater sich auf. Über die Innenseite seiner Schenkel strömten Bäche von warmem frischem Blut. Er schien keine allzu großen Schmerzen zu empfinden. «Vater»», sagte er, «wir haben gesiegt.»
    Mutter sagte: «Onkel, bitte kümmre dich schnell um Douguans Wunde!»
    Vater blickte auf den Hoden in Großvaters Hand und fragte erstaunt: «Gehört das mir, Vater? Wirklich?»
    Eine Welle von Ekel und Schwindel überfiel ihn, und er wurde ohnmächtig.
    Großvater warf seinen Stock weg, riss zwei saubere Hirseblätter ab, packte den kleinen Gegenstand sorgfältig ein und gab ihn Mutter in die Hand. «Qian’er», sagte er, «gib gut darauf acht. Wir bringen ihn zu Doktor Zhang Xinyi.» Er bückte sich, hob Vater auf, richtete sich mühsam wieder auf und humpelte die Straße entlang. Die verwundeten Hunde im Sumpfland winselten mitleiderregend.
    Doktor Zhang Xinyi war ein Mann um die Fünfzig. Er hatte einen Mittelscheitel, was auf dem Land ungewöhnlich war, und trug ein langes dunkelblaues Gewand : sein fahles Gesicht schwebte über einem Körper, der so dünn war, dass man meinen musste, er könne keinem Lufthauch standhalten.
    Bis Großvater Vater zum Arzt getragen hatte, war sein Rücken fast bis zum Boden gekrümmt, und sein Gesicht war leichenblass.
    «Bist du es, Kommandant Yu? Du hast dich sehr verändert», sagte Doktor Zhang.
    «Doktor, nenn deinen Preis!»
    Er hatte Vater auf die hölzerne Liege gebettet. «Ist das dein Sohn, Kommandant?» fragte Doktor Zhang.
    Großvater nickte.
    «Der, der am Schwarzwasserfluß den japanischen General getötet hat?»
    «Ich habe nur einen Sohn.»
    «Ich werde tun, was immer in meiner Macht steht.» Doktor Zhang nahm eine Pinzette, eine Schere, eine Flasche Hirsebrand und ein Jodfläschchen aus seiner Arzttasche. Dann beugte er sich über Vater und inspizierte die Verletzungen in seinem Gesicht.
    «Sieh bitte zuerst da unten nach, Doktor», sagte Großvater mit ernster Stimme. Dann wandte er sich um und nahm Mutter den in Hirseblätter gewickelten Hoden aus der Hand. Er legte ihn auf das hölzerne Schränkchen neben der Liege. Die Blätter öffneten sich.
    Doktor Zhang hob den verschmierten kleinen Gegenstand mit der Pinzette auf und betrachtete ihn. Seine langen nikotinverfärbten Finger zitterten, und er stammelte: «Kommandant Yu ... natürlich bin ich bereit, zu tun, was ich kann ... aber die Wunde deines Sohnes ... meine Fähigkeiten sind begrenzt, und ich verfüge nicht über die richtigen Medikamente ... du solltest ihn zu einem besseren Arzt bringen, Kommandant.»
    Großvater beugte sich vor und schob sein Gesicht unmittelbar an das des Arztes. Seine Triefaugen durchbohrten den Mann. «Wo soll ich hier jemand Begabteren finden?» fragte er mit heiserer Stimme. «Sag schon, wo kann ich hingehen? Soll ich ihn zu den Japanern bringen?»
    «Kommandant», sagte Zhang Xinyi defensiv, «davon hat Euer ergebener Diener kein Wort gesagt. Aber dein ehrenwerter Herr Sohn ist an einer kritischen Stelle verwundet, und der kleinste Fehler

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