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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Jiao-Gao-Soldaten, aber sie antworteten mit Dauerfeuer aus drei Maschinenpistolen, verwundeten drei Soldaten der Eisengesellschaft und töteten einen. Großvater hatte die drei Maschinenpistolen als Lösegeld eingetrieben, als er Pockennarbe Leng entführt hatte. Er wollte die anderen damit töten, und jetzt waren sie gegen ihn gerichtet worden. Wo Pockennarbe Leng sie ursprünglich herhatte, wusste keiner.
    Schwarzauge wollte gerade den nächsten Schuss abgeben, als ein kräftiger Mann der Eisengesellschaft ihn festhielt. «Das genügt, Kommandant», sagte er, «provoziere diese tollen Hunde nicht noch mehr.»
    Die Truppen des Jiao-Gao-Regiments hatten sie beinahe eingeholt, und als Großvater ihre Gesichter sah, die so bösartig waren, dass sie fast schon wieder etwas Liebenswertes hatten, senkte er zögernd das Gewehr.
    In diesem Augenblick fing hinter dem Schwarzwasserfluß ein Maschinengewehr an zu bellen wie ein Hund. Jenseits der Böschung erwartete die Eisengesellschaft und das Jiao-Gao-Regiment ein noch weitaus brutalerer Kampf.
     
     
5
     
    Auf den düsteren regnerischen Herbst 1939 folgte ein eisiger Winter. Die Hunde, die Vater, Mutter und ihre wackeren Freunde erschossen oder mit Handgranaten in die Luft gejagt hatten, lagen erfroren neben entwurzelten Hirsestengeln im feuchten Sumpfgelände. Hunde, die am Schwarzwasserfluß durch japanische Eierhandgranaten den Tod gefunden hatten, und Hunde, die darum gekämpft hatten, Rudelführer zu werden, und doch nur einen grausamen Tod gestorben waren, lagen steifgefroren unter welkem Wassergras und Unkraut am Flussufer. Ausgehungerte Krähen hackten mit purpurfarbenen Schnäbeln auf die gefrorenen Hundeleichen ein. Wie schwarze Wolken sammelten sie sich zwischen Ufer und Sumpfland. Auf dem Fluss hatte sich eine dicke Eisschicht gebildet, und das Fell der toten Hunde am Wasser war von grünlichem Krähenkot bedeckt. Auch im Sumpfgelände hatte sich Eis gebildet, aber das Wasser war so flach, dass es am Boden darunter haftete. Wenn man es betrat, krachte und sprang es.
    Großvater, Vater, Mutter und die Frau namens Liu verbrachten einen scheinbar endlosen Winter in ihrem verfallenen Dorf. Vater und Mutter wussten von der Beziehung Großvaters zu Frau Liu, und es störte sie nicht. Die Hingabe, mit der sie in jenen schweren Zeiten für Großvater, Vater und Mutter gesorgt hat, sollte noch Jahrzehnte später im Gedächtnis meiner Familie lebendig bleiben.
    Ihr Name ist feierlich in unser Familienregister aufgenommen worden und folgt dort auf Lian’er, deren Name auf Großmutter folgt, der nur noch Großvater vorangeht.
    Dass Vater beim Angriff des Roten einen Hoden verloren hatte, stürzte Großvater in tiefe Verzweiflung, bis Frau Liu ihn mit dem Spruch tröstete, einzehiger Knoblauch sei der schärfste. Von ihr ermutigt, hatte dann Qian’er, die meine Mutterwerden sollte, sein verwundetes, hässliches, merkwürdiges kleines Glied zum Leben erweckt und so den Fortbestand unserer Familie gesichert. Begeistert von der guten Nachricht, war Großvater aus dem Haus gestürzt, hatte zum blassen blauen Himmel aufgeblickt und mit gefalteten Händen ein Dankgebet gesprochen. All das war im Spätherbst geschehen, als Wildgänse über den Himmel wanderten und sich im Sumpfland Eiszungen bildeten. Mit dem Einsetzen brausender Nordwestwinde hatte der kälteste Winter seit Menschengedenken begonnen.
    In der Hütte, in die sich Großvater und die anderen zurückzogen, lagen trockene Hirseblätter gestapelt. In der Küche hatten sie außerdem einen reichlichen Vorrat an Hirsekörnern angelegt. Um ihre Diät mit kräftigerer Nahrung zu ergänzen, aber auch um ihre Kraft und Gesundheit zu erhalten, gingen Großvater und Vater häufig auf die Hundejagd. In Hosen und Jacken aus Hundefell, die Frau Liu für sie genäht hatte, und Pelzmützen aus Hundefell, die Mutter ihnen gemacht hatte, lagen sie im Sumpfland hinter einem niedrigen Hügel im Hinterhalt. Die Hunde, die hierherkamen, um Menschenleichen zu fressen, waren wild und undiszipliniert.
    Seit dem Tod des Roten bildeten die Hunde der Gemeinde Nordost-Gaomi keine Jagdmeute mehr, sondern einen Haufen marodierender Einzelgänger. Sie schlossen sich nie wieder zusammen. Die Welt, in der Menschen von Hunden beherrscht wurden, so wie sie im Herbst existiert hatte, war im Winter auf den Kopf gestellt. Die menschliche Natur siegte über die Natur des Hundes, und langsam eroberte die schwarze Erde die hellen Pfade wieder, die

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