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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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hatten, flogen mit den abgerissenen Gliedern ihrer Eigentümer in die Luft und senkten sich dann geruhsam zu Boden. Die Stelzengänger, die sich, an ihre Stelzen geschnallt, nicht frei bewegen konnten, wurden an den Straßenrand gedrängt. Dort blieben sie schnell im sumpfigen Hirsefeld stecken und wurden niedergemäht wie verdorrte Bäume. Ihre Schmerzensschreie und Entsetzensrufe waren mitleiderregender und schrecklicher als alles andere.
    Wuluan, der sah, wie seine Soldaten geschlagen wurden, wurde immer ängstlicher und verwirrter. Wütend hackte er auf die Männer ein, die ihn umgaben, und sein Pferd biss rundum zu wie ein Hund. Von vorne wie von hinten hörte man das scharfe Geräusch, das menschliche Körper von sich geben, wenn sie von Säbeln durchschnitten werden, und das helle Schreckensgelächter einfacher Menschen, denen die Nähe des Todes bewusst wird.
    Wuluan führte seine Reiter auf die Straße, wo sie in eine Handgranatensalve des Jiao-Gao-Regiments liefen. Noch Jahre später sprachen Großvater und Vater von dem geübten Umgang der Jiao-Gao-Leute mit ihren Handgranaten, so wie sich ein Schachmeister an die Niederlage erinnert, die ihm ein unterlegener Gegner durch einen trickreichen Zug beigebracht hat. Sie mussten die Niederlage eingestehen und wussten zugleich, dass sie sich ihre verpasste Siegeschance selbst zuschreiben mussten.
    Als sie sich an diesem Tag an den Schwarzwasserfluß zurückzogen, wurde Vater von einer aufgearbeiteten Kugel aus der rostigen Hanyang-Flinte eines Jiao-Gao-Soldaten in den Hintern getroffen. Großvater hatte noch nie so eine Schussverletzung gesehen. Das geronnene Blut sah aus wie der Biss eines tollwütigen Hundes. Da Munition beim Jiao-Gao-Regiment äußerst knapp war, sammelten sie nach jedem Gefecht ihre leeren Patronen wieder ein, um neue Hülsen herzustellen. Was immer der Mist war, aus dem sie ihre Kugeln fabrizierten, er neigte dazu zu schmelzen, bevor die Kugel aus dem Lauf war, und traf sein Ziel wie ein Tropfen heißer Rotz. So eine Kugel hatte Vater getroffen.
    Die letzte Handgranatensalve riss eine Bresche in Wuluans Reitertrupps. Männer fielen, Pferde stürzten. Wuluans Schecke sprang mit mitleiderregendem Wiehern in die Luft und landete wie eine einstürzende Mauer auf dem Boden. Aus einem faustgroßen Loch in seinem Bauch glitten Därme und dunkles Blut. Der Reiter, der in den flachen Straßengraben gefallen war, sah, sobald er herausgekrochen war, eine Gruppe von Jiao-Gao-Soldaten, die mit glänzenden Bajonetten auf ihn zukam. Mit der Maschinenpistole, die er um den Hals trug, eröffnete er das Feuer und streckte zehn von ihnen mit fliegenden Armen und Beinen zu Boden.
    Inzwischen griffen ein Dutzend unverletzte Soldaten der Eisengesellschaft das Jiao-Gao-Regiment mit Gewehren und Säbeln an. Die Jiao-Gao-Soldaten stießen ihre Bajonette und Gewehrläufe in die Bäuche der Pferde der Eisengesellschaft. Als die Schlacht, die mit Schüssen und Hieben ausgetragen wurde, zu Ende war, waren die Soldaten der Eisengesellschaft und ihre Feinde vom Jiao-Gao- Regiment gemeinsam eine innige Verbindung mit dem schwarzen Boden der Gemeinde Nordost-Gaomi eingegangen, teils mit dem Bauch, teils mit dem Rücken, und keiner von ihnen würde je wieder aufstehen. Zwei Pferde, die das Ganze irgendwie überlebt hatten, galoppierten mit wehender Mähne und donnernden Hufen und Schweifen, die in schwarzem Staub schwammen, zum Fluss hinab. Es war ein Anblick von unvergleichlicher Schönheit.
    Drei Soldaten vom Jiao-Gao-Regiment knirschten vor Wut mit den Zähnen und vergruben ihre Bajonette im Bauch des Kavalleriekommandeurs der Eisengesellschaft, der den Tod so vieler ihrer Kameraden verschuldet hatte. Wuluan griff mit beiden Händen nach einem der heißen Gewehrläufe und fiel vornüber. Die schwarzen Augäpfel verdrehten sich und verschwanden im Schädel, die langen Augenlider bedeckten die silbernen Augen, und ein Strom heißen Bluts schoss aus seinem Mund. Mit Mühe zogen die Jiao-Gao-Soldaten ihre blutüberströmten Bajonette aus Wuluans Körper, der einen Augenblick starr aufgerichtet dastand, bevor er langsam in den Straßengraben glitt. Die Sonnenstrahlen fielen auf seine porzellanweißen Augäpfel, aus denen zwei schwache, düstere Strahlen drangen.
    Die drei stürzten sich auf ihn und rissen ihm das russische Maschinengewehr vom Hals und die deutsche Mauserpistole aus dem Gürtel. Eine Eidechse, deren Seelenruhe durch Tausende von Schritten erschüttert worden

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