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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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eiergroßen Augen, nur um sie dann wieder zu schließen.
    Großvater, der noch nie so unruhig gewesen war, zog sich bis auf die Unterhosen aus. Er kratzte sich unter dem gekräuselten schwarzen Haar auf Brust und Schenkeln, aber je mehr er sich kratzte, desto mehr juckte es ihn. Das Bett roch säuerlich, salzig, nach Frau. Er warf eine Trinkschale auf die Kacheln. Sie zersprang. Mit weit aufgerissenem Maul sprang eine kleine Ratte aus dem Schrank, warf ihm einen spöttischen Blick zu, sprang auf das Fensterbrett, blieb dort auf den Hinterbeinen stehen und putzte sich mit den Vorderpfoten das Maul. Großvater griff nach der Pistole und feuerte. Das Geräusch der Explosion wirbelte erst durch den Raum, nachdem die Kugel die Ratte aus dem Fenster geschleudert hatte.
    Mit verwirrtem dunklem Haar stürzte Lian’er ins Zimmer. Sie sah Großvater an, der, die Arme um die Knie geschlungen, auf dem Bett saß, sammelte die Scherben auf und wandte sich zum Gehen.
    Ein heißer Blitz fuhr Großvater durch die Kehle. Er schluckte trocken und sagte stammelnd: «Du da ... bleib da...»
    Lian’er drehte sich um und biss sich mit makellos weißen Zähnen auf die üppige Unterlippe. Ihr süßes Lächeln badete das düstere Zimmer in goldenes Licht. Vor das Klopfen des Regens am Fenster schien sich plötzlich eine grüne Wand zu schieben. Großvater sah auf Lian’ers wirres Haar, ihre durchschimmernden zarten Ohren und die Wölbung ihrer Brüste. «Du bist groß geworden »», sagte er.
    Ihre Mundwinkel zuckten und ließen zwei schlaue, wissende Falten erscheinen.
    «Was hast du gerade gemacht?»
    «Geschlafen», gähnte sie. «Ich hasse das schlechte Wetter. Wie lange wird es wohl noch weiterregnen? Die Milchstraße muss ein Loch bekommen haben.»
    «Douguan und seine Mutter kommen wohl nicht mehr raus da. Hat sie nicht gesagt, sie wolle in drei Tagen wiederkommen? Die Alte muss doch inzwischen verfault sein.»»
    «Ist sonst noch was?» fragte Lian’er.
    Er senkte den Kopf, dachte nach und sagte: «Nein.»
    Lian’er biss sich auf die Lippe, lächelte und ging hüftschwenkend aus dem Zimmer.
    Im Zimmer wurde es wieder dunkel, und der graue Regenvorhang vor dem Fenster war dicker und schwerer denn je zuvor. Das schwarze Maultier stand noch immer knietief im Wasser. Großvater sah es mit dem Schwanz schlagen und bemerkte einen Muskel an der Keule, der zu zucken begann.
    Lian’er kam wieder, lehnte sich gegen den Türpfosten und sah Großvater aus verhangenen Augen an. Die Augen, die sonst so klar waren wie Wasser, bedeckte jetzt ein heller blauer Nebel.
    Wieder zog sich das Geräusch des Regens in die Ferne zurück, und Großvater spürte den Schweiß auf seinen Fußsohlen und seinen Handflächen.
    «Was gibt es?»
    Sie lächelte und biss sich auf die Lippe. Großvater bemerkte, dass der Raum wieder von goldenem Licht erfüllt war.
    «Willst du etwas trinken?» fragte Lian’er.
    «Trinkst du mit?»
    «Gerne.»
    Sie brachte eine Branntweinflasche und schnitt ein paar Soleier in Scheiben.
    Draußen donnerte der Regen, aber das Maultier stand stur wie ein Stein da und strahlte eine Kälte aus, die durch das Fenster sickerte und sich um Großvaters halbnackten Körper wand. Er schauerte fröstelnd.
    «Ist dir kalt?» fragte Lian’er herablassend.
    «Mir ist heiß!» schoss er zurück.
    Sie füllte zwei Schalen mit Hirsebrand, behielt die eine und reichte ihm die andere. Die Trinkschalen stießen aneinander.
    Sie schleuderten die leeren Schalen auf das Bett und blickten einander stumm in die Augen.
    Im goldenen Glanz, der das Zimmer erfüllte, tanzten zwei blaue Flammen. Die goldenen Flammen verbrannten seinen Körper, die blauen Flammen verbrannten sein Herz.
    «Der Edle rächt sich auch noch nach zehn Jahren!» sagte Großvater mit eiskalter Stimme und schob die Pistole ins Halfter.
    Schwarzauge richtete sich auf und trat an Großmutters Grab. Er umkreiste es, trat ein-, zweimal gegen den Grabhügel und seufzte. «Der Mensch lebt nur ein Leben lang, das Gras stirbt jeden Herbst. Kommandant Yu, die Eisengesellschaft wird den Kampf gegen die Japaner aufnehmen. Schließ dich uns an!»
    «Ich soll mich einem abergläubischen Haufen wie euch anschließen?»»
    «Setz dich nur nicht aufs hohe Ross ! Die Götter beschützen die Eisengesellschaft. Der Himmel lächelt uns zu, und das Volk vertraut uns. Es ist eine Ehre, wenn ich dich auffordere mitzumachen.» Schwarzauge stieß mit dem Fuß gegen Großmutters Grab und fuhr fort: «Um

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