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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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belohnt werden?»» sagte Großvater grob. Er konnte nicht zeigen, dass sein Herz begonnen hatte zu schmelzen. Der kleine Yan zog den Vorhang der Sänfte zurück, und Großmutter, die Vater im Arm hielt, stieg langsam aus.
    Sie ging auf die Brücke zu, aber der kleine Yan hielt sie auf und sagte: «Onkel Yu, bring den kleinen Herrn Cao auf die Brücke. Wir werden sie gleichzeitig freigeben.»
    Dann rief der kleine Yan: «Lasst sie gehen!»»
    Mit dem Ruf auf den Lippen rannte der kleine Cao zum südlichen Brückenende, während Großmutter mit Vater auf das nördliche Brückenende zuschritt.
    Großvaters Männer brachten ihre kurzen Gewehre in Anschlag und die Soldaten des Richters ihre langen.
    Großmutter und der Junge trafen sich in der Mitte der Brücke. Sie beugte sich vor, um ihm etwas zu sagen. Aber er fing an zu weinen, machte einen Bogen um sie und rannte wie der Wind nach Süden.
    Bei dieser Entführung wandte Cao Mengjiu eine Kriegslist an, die aus der Geschichte der Drei Reiche hätte stammen können, und läutete so das Ende der goldenen Zeit des Banditentums in der Gemeinde Nordost-Gaomi ein.
    Im März dieses Jahres starb meine Urgroßmutter. Großmutter, die Vater im Arm hielt, ritt auf einem der beiden schwarzen Maultiere in das Dorf ihrer Kindheit, um sich um die Beerdigung zu kümmern. Sie wollte nur drei Tage wegbleiben. Wie hätte sie ahnen sollen, dass der Himmel das unmöglich machen würde? Am Tag nach ihrem Aufbruch tat der Himmel seine Schleusen auf und sandte Regenschauer zur Erde, die selbst der Sturm nicht mehr durchdringen konnte. Himmel und Erde verschmolzen miteinander. Großvater und seine Männer, die sich nicht mehr in Wald und Flur verstecken konnten, kehrten nach Hause zurück. Bei einem solchen Wetter verstecken sich sogar die Schwalben in ihren Nestern und zwitschern nur noch verträumt vor sich hin. Auch die Soldaten der Regierung konnten nicht mehr auf Patrouille gehen, aber eigentlich war das auch unnötig. Denn aus der absurden Entführungsgeschichte dieses Jahres hatte sich ein stillschweigendes Einverständnis zwischen Richter Cao Mengjiu und Großvater entwickelt. In der Gemeinde Nordost-Gaomi herrschte Waffenstillstand zwischen Soldaten und Banditen. Die Banditen kehrten nach Hause zurück, steckten die Waffen unter die Kopfkissen und verschliefen die regnerischen Frühlingstage.
    Als Großvater in seinen Regenumhang aus Stroh gehüllt nach Hause kam, erfuhr er von Lian’er, dass Großmutter in ihr Heimatdorf geritten war und sich um die Beerdigung kümmern wollte. Wenn er sich an jene längst vergangene Zeit erinnerte, als er auf seinem schwarzen Maultier dorthin geritten war und den geldgierigen alten Mann zu Tode erschreckt hatte, musste er unwillkürlich lächeln. Damals verabscheute Großmutter ihre Eltern so, dass sie sich weigerte, irgend etwas mit ihnen zu tun zu haben. Wer hätte gedacht, dass sie wenige Jahre später einem Unwetter trotzen würde, um für die Beerdigung zu sorgen? «Starker Wind», sagt das Sprichwort, «legt sich irgendwann; unglückliche Familien finden Frieden.»
    Der Regen fiel von den Dachtraufen wie ein Wasserfall. Die trüben Wasser stiegen hüfthoch, tränkten den Boden und brachten die Dorfmauer zum Einsturz. Wassersäulen stiegen in die Luft. Die graugrünen Felder, die keine Mauer mehr zurückhielt, donnerten gegen unser Fenster. Großvater kauerte auf der gemauerten Bettstatt und blickte auf das Hirsemeer, über dem niedrig liegende Wolken hingen. Das Donnern des Regens ließ nicht nach, und der schwere Geruch von fauliger Erde und verrottetem Gras erfüllte das Zimmer.
    Großvater verfiel in einen Zustand regenmüder Betäubung. Er trank und schlief, schlief und trank, bis der Unterschied zwischen Tag und Nacht verschwamm und Chaos herrschte. Während des Sturms riss sich unser zweites Maultier los, rannte aus dem Stall und blieb mit blödem Gesichtsausdruck unbeweglich vor dem Fenster stehen. Großvater starrte das dumme Tier aus blutunterlaufenen Säuferaugen an und fühlte, wie sich Starre über seinen Körper ausbreitete, als liefen Ameisen durch seine Glieder. Regentropfen fielen wie schwarze Pfeile auf den Rücken des Maultiers, sprangen wieder hoch oder glitten an dem dunkelgrauen Fell ab, um sich unter dem Bauch wieder zu sammeln und in die Pfützen auf dem Boden zu tropfen, die spritzten und tanzten, als würden Bohnen in eine Ölpfanne geworfen. Das Maultier blieb reglos stehen und öffnete gelegentlich seine

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