Das Rote Kornfeld
meine kleine Tante bisher unterdrückt hatte, laut, volltönend, beleidigt und ein wenig nach Blut riechend aus. Zweite Großmutter war schnell wieder bei Besinnung, und den hageren Soldaten, der vor ihr stand, verband nichts mehr mit der Erscheinung des Wiesels. Er hatte ein schmales Gesicht, einen scharfen gekrümmten Nasenrücken, und seine Augen waren schwarz und glänzend. Er sah aus wie ein kluger, redekundiger, erfahrener und gebildeter Mann. Zweite Großmutter kniete auf der Bettstatt und flehte ihn schluchzend an. Tränen und Rotz liefen ihr übers Gesicht: «Mein Herr ... ehrenwerter Herr Kommandant ... verschont uns ... bitte, verschont uns ... habt ihr denn zu Hause keine Frauen, Töchter, Schwestern ...»
Die Rattenfalten im Gesicht des Japaners zuckten ein paar Mal. Hinter seinen schwarzen Augen lag ein hellblauer Nebel versteckt. Natürlich kann er die tränenreichen Beschwörungen meiner Zweiten Großmutter nicht verstanden haben, aber um was es ging, schien ihm klar zu sein. Sie sah, wie seine Schultern hilflos zuckten, als ihm das Weinen meiner kleinen Tante ins Ohr drang, und das fieberhafte Zucken der Rattenwangen verlieh seinem Gesicht den Anschein hilflosen Mitleids. Er sah seinen Kumpel neben dem Bett blöde an, und Zweite Großmutter warf einen verstohlenen Blick auf die übrigen fünf Japaner. Sie sahen alle verschieden aus, aber sie konnte eine ölig grüne wässrige Weichheit erkennen, die unter der harten Kruste der Bösartigkeit auf ihren Gesichtern Wogen schlug. Sie gaben sich Mühe, den Ausdruck bösartigen Spotts beizubehalten, mit dem sie den hageren Japaner auf dem Bett anblickten. Er wandte schnell den Blick ab. Ebenso schnell sah ihm Zweite Großmutter in die Augen. Die blaugrüne Nebelschicht war träge geworden wie eine regenschwere Kumuluswolke vor dem Gewitter. Die Rattentaschen schienen sich von seinen fieberhaft zuckenden Backen trennen zu wollen. Zähneknirschend, als müsse er gegen ein tiefsitzendes Gefühl angehen, schob er die glänzende Spitze seines Bajonetts vor den offenen Mund meiner kleinen Tante.
«Du da, Hose ausziehen! Du Hose ausziehen!» Sein Chinesisch klang, als sei seine Zunge gelähmt, aber er sprach es besser als der fette Kahlkopf.
In diesem Augenblick begann Zweite Großmutter, die sich gerade erst vom Bann des Wiesels befreit hatte, wieder den Bezug zur Realität zu verlieren. Sie sah den Japaner, der auf ihrem Bett stand, in einem Augenblick als einen gebildeten Gelehrtentyp, im nächsten als genaues Abbild des schwarzschnäuzigen Wiesels. Lautes, krampfartiges Schluchzen durchzuckte sie. Die glänzende Bajonettspitze war tief im Mund meiner kleinen Tante vergraben. Scharfer, herzzerreißender Schmerz und Fürsorge für ihr Kind, wie sie keine Wölfin hätte stärker empfinden können, ließen sie wieder zur Besinnung kommen. An sich selbst verschwendete sie nicht einen Gedanken mehr. Rasch zog sie die Hose, die Unterhose und das Hemd aus, bis sie splitternackt dastand. Dann schleuderte sie das Stoffbündel beiseite, mit dem sie ihre Hose ausgestopft hatte, und traf dabei, ohne es zu wollen, einen jungen Japaner mitten ins Gesicht. Das eng zusammengerollte Bündel fiel dem jungen Mann direkt vor die Füße, und er stand wie angefroren da. Seine hübschen Augen blickten verwirrt in die Welt. Zweite Großmutter lachte ihn hysterisch an. Ihren Augen entströmten Tränen. Sie legte sich auf den Rücken und sagte mit lauter Stimme: «Kommt schon, kommt schon, tut, was ihr wollt! Aber rührt mein Kind nicht an! Rührt mir nur mein Kind nicht an!»
Der japanische Soldat auf dem Bett zog das Bajonett zurück und stand wie leblos mit müde herabhängenden Armen da. Zweite Großmutter lag ausgestreckt da, und ihr nackter Körper hatte die appetitliche Farbe gerösteter, leicht angebrannter Hirse. Ein leuchtendheller, nahezu magisch verklärter Sonnenstrahl fiel zwischen ihre Beine, als beleuchte er eine herrliche alte Legende oder einen Mythos, als beleuchte er die jungfräuliche Grotte der Feen, als beleuchte er das wohlwollende und zugleich majestätische Auge Gottes. Die Japaner blickten auf den Pfad, den jeder Mensch gehen muss, auf das Organ, das auch die besaßen, die sie liebten. Ihre Augen trübten sich, und ihre Gesichter wurden hart wie Ton.
Ich habe oft darüber nachgedacht, ob Zweite Großmutter der Vergewaltigung entkommen wäre, wenn es nur ein japanischer Soldat gewesen wäre, der an jenem Tag vor ihrem prachtvollen nackten Körper stand.
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