Das Rote Kornfeld
öffnete sich das Tor. Einer der beiden Torflügel fiel krachend zu Boden. Sobald Zweite Großmutter das Geräusch hörte, rannte sie zum Ofen und strich sich noch mehr Asche ins Gesicht. Lautes Geschrei ertönte aus dem Hof. Sie rannte ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Dann sprang sie auf das Bett, nahm meine kleine Tante fest in den Arm und hielt den Atem an. Japanische Soldaten brüllten Unverständliches und schlugen mit Gewehrkolben die Haustür ein. Die war bei weitem nicht so massiv wie das Hoftor und ließ sich schnell aufbrechen. Sie hörte, wie die Stangen, die sie unter den Riegel geschoben hatte, zu Boden fielen. Jetzt, wo die Japaner im Haus waren, schützte sie nur noch die schwache Schlafzimmertür. Verglichen mit dem massiven Hoftor und der dicken Haustür, war sie so dünn wie Papier. Wenn schon keine der beiden anderen Türen dem Angriff widerstanden hatte, musste es für die Eindringlinge ein Kinderspiel sein, auch diese Tür zu stürmen. Jetzt ging es nur noch darum, ob sie Lust hatten, sie einzutreten, ob sie Lust auf ihre Beute hatten oder nicht.
Und dennoch verließ sie sich auch jetzt noch auf ihr Glück. Solange die Tür noch da war, konnten die Gefahren, die in den Gerüchten und ihrer Phantasie lagen, für immer in den Gerüchten und der Phantasie verharren, brauchten niemals Wirklichkeit zu werden. Ängstlich gebannt starrte sie auf die Türflügel und lauschte den schweren Schritten und den aufgeregten Stimmen der Japaner. Die Türflügel waren dunkelrot gestrichen, am Türrahmen hatte sich grauer Staub gesammelt, und auf dem weißen Holzriegel waren rote Blutflecken zu sehen. Es war das Blut eines schwarzschnäuzigen Wiesels. Zweite Großmutter erinnerte sich, wie sie mit dem hölzernen Riegel auf das Wiesel eingeschlagen und seinen Schreien gelauscht hatte und wie der Kopf des Wiesels wie eine Erdnuss auseinandergebrochen war. Einen Moment lang wälzte es sich auf dem Boden, und sein buschiger Schweif fegte über den Puderschnee, bevor es in Krämpfe verfiel und mit einem letzten Zucken starb. Wie hatte sie das Wiesel und seine Männlichkeit gehasst!
An einem Herbstabend im Jahre 1931, als es gerade dunkel wurde, war sie ins Hirsefeld vor dem Dorf gegangen, um Bitterkraut zu stechen. Da, am Kopfende eines unkrautüberwucherten Grabhügels, stand von den blutroten Strahlen der untergehenden Sonne umspielt das Wiesel. Sein Fell glänzte wie Gold, sein Maul war so schwarz wie Tusche. Sie entdeckte es, als sie sich hinhockte, um sich zu erleichtern. Es saß auf den Hinterbeinen und winkte Zweiter Großmutter geruhsam mit den Pfoten zu. Die reagierte, als hätte sie der Blitz getroffen. Wie eine springende Schlange stieg erschrecktes Zucken von ihren Füßen den Rücken hinauf, bis es die Schädeldecke erreichte. Wie gelähmt fiel sie vornüber und schrie wie eine Besessene. Als sie wieder zu sich kam, lag Dunkelheit über dem Feld, und helle Sterne bewegten sich ruhelos und geheimnisvoll am schwarzen Himmel. Sie tastete sich aus dem Hirsefeld hinaus, fand den Sandweg und ging zurück ins Dorf. Das Phantasiebild des Wiesels, dessen Fell einen glänzenden Schein wie Kornähren verströmte, erschien und verschwand immer wieder lebhaft und deutlich vor ihren Augen. Sie musste an sich halten, um nicht laut zu schreien. Ein paar Schreie entrangen sich trotz allem ihrer Kehle, laut genug, dass selbst sie sich schreien hören konnte. Es waren keine menschlichen Schreie, und die Geräusche, die aus ihrer Kehle drangen, erschreckten sie und machten ihr angst.
Zweite Großmutter blieb lange Zeit verstört, und ihre Dorfgenossen kamen zu dem Schluss, sie sei von dem Wiesel besessen. Sie selbst war sicher, dass es so war, dass das Wiesel an irgendeiner dunklen, tiefen Stelle absolute Macht über sie gewonnen hatte. Was immer es ihr befahl, sie tat es: Sie weinte, sie lachte, sie sprach in unverständlichen Zungen, sie vollführte seltsame Handlungen. Wann immer der Blitz mitten in ihrem Rücken einschlug, war es, als sei sie zwiegespalten, als kämpfe sie verzweifelt im dunkelroten Treibsand der sexuellen Begierde und des Todes, versinke im Sand und treibe dann wieder nach oben, nur um erneut zu versinken. Wenn sie ein Seil entdeckte, von dem sie glaubte, sich daran aus dem Treibsand ziehen zu können, brauchte sie nur mit beiden Händen danach zu greifen, und schon verwandelte es sich in den Schlamm der Begierde, und sie versank wieder hilflos in der Tiefe. In diesem quälenden
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