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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Aber ich bezweifle es. Wäre es nur ein männliches Tier in menschlicher Form gewesen, das da stand, und hätte er nicht unter dem Zwang gestanden, sich wie ein dressierter Affe zu benehmen, er hätte seine reichbestickte Uniform um so wilder und besessener ausgezogen, um sich wie eine Bestie auf sie zu stürzen. Unter normalen Umständen hält die Macht der Moral das rauhhaarige Tier in uns unter einem harmlosen Äußeren gefangen. Eine ruhige und friedfertige Gesellschaft ist die Schule der Menschlichkeit, und wilde Tiere in Gefangenschaft nehmen immer mehr von der menschlichen Natur an, je länger sie gefangen gehalten werden. Einverstanden? Ja oder nein? Also was? Wenn ich kein Mensch wäre und wenn mir das Schwert der Rache in die Hand gegeben wäre, würde ich jeden einzelnen Menschen auf der Welt umbringen! Wäre es an jenem Tag nur ein japanischer Soldat gewesen, der vor dem prachtvollen nackten Körper meiner Zweiten Großmutter stand, hätte er vielleicht an seine Mutter oder an seine Frau gedacht und wäre still wieder gegangen. Was meinen Sie ?
    Die sechs Japaner rührten sich nicht. Sie starrten den nackten Körper meiner Zweiten Großmutter an wie die Opfergabe auf einem Altar. Keiner wollte gehen, keiner wagte zu gehen. Sie lag ausgestreckt da wie ein gewaltiger Hundsfisch in der glühenden Sonne. Meine kleine Tante war heiser vom Weinen, die Geräusche wurden schwächer, die Pausen länger. Als Zweite Großmutter den japanischen Soldaten ihren Körper anbot, hatte sie ihre überquellende Energie in der Tat gebändigt. Als sie sich auf dem Bett hinstreckte wie eine liebevolle Mutter vor ihren Söhnen, dachten sie alle über den Weg nach, den sie gegangen waren.
    Ich glaube, wenn Zweite Großmutter ein wenig länger durchgehalten hätte, hätte sie den Sieg errungen. Zweite Großmutter, nachdem du schon so dalagst, warum musstest du aufstehen und deine Kleider wieder anziehen? Kaum hattest du ein Bein ins Hosenbein gesteckt, schon wurden die japanischen Soldaten neben dem Bett unruhig. Der Dicke, den du in die Nase gebissen hast, warf das Gewehr beiseite und kletterte auf die Bettstatt. Du sahst seine verletzte Nase angeekelt an, und der Wahnsinn überkam dich wieder. Aber der hagere Japaner, der dich zu zähmen gewusst hatte, sprang auf, riss seinen fetten Kumpel beiseite, ballte drohend die Fäuste und knurrte seine Kameraden, die noch unten standen, in einer Sprache an, die du nicht verstehen konntest. Dann warf er sich, ehe du noch zur Besinnung gekommen warst, über dich. Keuchen, das dem Krähen eines Hahns glich, und ein Atem, der nach Pferdemist stank, fielen wie Regen auf dein Gesicht.
    Das Bild des schwarzschnäuzigen Wiesels erschien vor deinem inneren Auge. Wieder schriest du auf wie eine Wahnsinnige. Aber dein Wahnsinn weckte nur den Wahnsinn der japanischen Soldaten, deinen Schreien antwortete ein Chor von Schreien aus ihren Mündern.
    Der kahle Japaner mittleren Alters war es, der den hageren Japaner von deinem Körper riss. Dann presste er sein wildes Gesicht gegen das deine, und du schlossest angeekelt die Augen. Du glaubtest, du könntest fühlen, wie sich der drei Monate alte Embryo in deinem Bauch wand, und du hörtest die erstickten Schreie meiner kleinen Tante wie das Geräusch eines rostigen Messers am Wetzstein, die schweinischen Atemzüge des kahlen Japaners und das Fußstampfen und obszöne Gelächter der Japaner, die rund um das Bett standen. Der kahle Japaner kaute mit messerscharfen Zähnen an deinem Gesicht, als wollte er sich dafür rächen, dass du ihn in die Nase gebissen hattest. Tränen, frisches Blut und der Speichel des kahlen Japaners, dicker, zäher Speichel, flossen über dein Gesicht. Plötzlich brach frisches rotes heißes Blut aus deinem Mund, und ein widerlicher Gestank drang in deine Nase. Der Embryo wand sich in deinem Bauch und löste Wellen von leberzerreissendem, lungendurchbohrendem Schmerz aus. Jeder Muskel, jeder Nerv deines Körpers spannte sich an und verknotete sich wie eine Bogensehne. Der Embryo schien sich im tiefsten Winkel deines Körpers verbergen zu wollen, um der unauslöschlichen Schande zu entgehen. Zorn kochte in deinem Herzen, und als die fettigen Backen des Soldaten über deine Lippen strichen, machtest du einen schwachen Versuch, ihn zu beißen. Seine Haut war zäh wie Gummi und schmeckte sauer. Angewidert hast du losgelassen, und deine angespannten Muskeln und Nerven erschlafften gelähmt.
    Der letzte, der sich auf Zweite Großmutter

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