Das Rote Kornfeld
von Schüssen. Selbst die Altersgenossen meines Vaters waren ungewöhnlich brav, so gern sie sich ihren üblichen wilden Spielen gewidmet hätten.
Vater und Sun Fünf, der Metzger, der ein Jahr zuvor Onkel Luohan geschlachtet und gehäutet hatte, stürzten aus verschiedenen Richtungen auf den Platz. Sun Fünf war nie wieder der Mann geworden, der er vor dem Ereignis gewesen war. Mit zuckenden Armen und Beinen, die Augen ins Leere gerichtet, Schaum und Geifer vor dem Unverständliches lallenden Mund, fiel er auf die Knie und rief: «Älterer Bruder, älterer Bruder, der Kommandant hat mich dazu gezwungen, ich kann nichts dafür ... du bist nach dem Tod in den Himmel gekommen, du reitest auf einem weißen Pferd mit reich verziertem Sattel, du trägst schöne Kleider, du hast eine goldene Reitgerte ... » Als die Dorfbewohner ihn in diesem Zustand sahen, ließ ihr Abscheu vor dem Metzger nach. Ein paar Monate nachdem er den Verstand verloren hatte, wurde Suns Benehmen erst richtig verrückt: Er fing unvermittelt an zu schreien, Mund und Augenwinkel zogen sich nach oben, Rotz und Schleim liefen ihm über das Gesicht, und niemand konnte sein pausenloses Gestammel verstehen. Die Dorfbewohner sprachen von einer Strafe des Himmels.
Außer Atem, den Browning in der Hand, den Kopf mit weißer Hirse und rotem Staub bedeckt, stürzte Vater heran. Der zerlumpte Sun Fünf stolperte mit seinem steifen linken und seinem gummiweichen rechten Bein auf den Platz. Niemand kümmerte sich um ihn; aller Augen waren auf die eindrucksvolle Erscheinung meines Vaters gerichtet.
Großmutter kam ihm entgegen. Damals war sie gerade dreißig geworden. Sie trug das Haar hochgesteckt, und dunkle Ponyfransen fielen wie ein Vorhang über ihr glänzendes Gesicht. Ihre Augen waren feucht wie Herbstregen. Man schob das auf die Alkoholdünste. Fünfzehn Jahre romantischer, seelenbewegender Abenteuer hatten das keusche kleine Mädchen in eine elegante Dame verwandelt.
«Was ist los?» fragte sie.
Vater rang noch nach Atem, als er den Browning wieder in den Gürtel steckte.
«Sind die Japaner nicht gekommen?»
«Wir werden kein Erbarmen mit diesem Schweinehund Leng haben!» rief Vater.
«Was ist passiert?»
«Macht Handkuchen!»
«Wir haben nichts von einem Gefecht gehört.»
«Macht Handkuchen», wiederholte Vater, «mit viel Eiern und Zwiebeln!»
«Sind die Japaner nicht gekommen?» fragte Großmutter noch einmal.
«Kommandant Yu hat gesagt, ihr sollt Handkuchen machen, und du sollst sie bringen.»
«Freunde», sagte sie, «geht nach Hause und macht Handkuchen.»
Vater wollte sich auf den Rückweg machen, aber Großmutter hielt ihn auf. «Erzähl, was mit Zugführer Leng war, Douguan», sagte sie.
Vater wand sich los und knurrte wütend: «Die Schweine haben sich nicht blicken lassen. Das wird ihnen Kommandant Yu nie verzeihen.»
Er rannte fort, und Großmutter blickte seiner schmalen Gestalt seufzend nach. Sun Fünf stand vornübergeneigt auf dem Hof, starrte Großmutter an und gestikulierte wild, wobei ihm der Speichel über das Kinn lief.
Ohne sich um ihn zu kümmern, ging Großmutter zu einem Mädchen mit schmalem Gesicht, das traurig lächelnd an der Mauer lehnte und dann auf die Knie fiel. Sie schlang die Arme fest um Großmutters Hüfte und begann, schrille Schreie auszustoßen.
«Lingzi», sagte Großmutter und strich ihr tröstend über das Gesicht, «sei vernünftig. Hab keine Angst.»
Lingzi, die damals siebzehn war, war das hübscheste Mädchen im Dorf. Als Kommandant Yu seine Truppen rekrutierte, sammelte er im Dorf etwa fünfzig Männer um sich. Einer davon war ein hagerer junger Mann mit bleichem Gesicht und langem schwarzem Haar, der schwarze Kleider und weiße Schuhe trug. Man munkelte, Lingzi sei in ihn verliebt. Er sprach gepflegten Pekingdialekt und lächelte nie. Seine Stirn, von drei senkrechten Falten durchzogen, war immer gerunzelt. Man nannte ihn Adjutant Ren. Lingzi spürte hinter Adjutant Rens kaltem hartem Äußeren ein tosendes Feuer, das sie beunruhigte.
Yu Zhan’aos Männer exerzierten jeden Morgen auf dem Platz, wo wir unsere Hirse kauften. Liu Sishan, der Hornist, blies zum Appell, und wenn der Trompetenklang an Lingzis Ohren drang, stürzte sie aus dem Haus, rannte zum Exerzierplatz und kletterte auf die Mauer, um auf Adjutant Ren zu warten. Sein Browning steckte in einem breiten Ledergürtel.
Mit stolzgeschwellter Brust marschierte Adjutant Ren vor seine Männer und ließ sie Haltung annehmen.
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