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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Trompetenklang laut durch die Luft, um dann im Ungewissen zu vergehen. Der Wind wehte nun von Nordost, und am Himmel sammelten sich dunkle Wolken, verbargen die Sonne und hüllten den Brautzug in Finsternis. Großmutter konnte das Rascheln der Hirse im Wind hören. Eine Woge folgte der anderen und trug den Ton in die Ferne. Im Nordosten hörte sie Donnergrollen. Die Träger gingen schneller. Sie fragte sich, wie weit das Haus der Familie Shan noch sei. Wie ein gefesseltes Lamm, das man zum Schlachthaus trägt, wurde sie mit jedem Schritt ruhiger. In ihrem Mieder hatte sie eine Schere versteckt. Niemand weiß, ob sie für Shan Bianlang oder für sie selbst bestimmt war.
    Der Überfall auf Großmutters Brautsänfte am Krötenloch ist ein wichtiger Teil meiner Familiengeschichte. Das Krötenloch ist ein großes Sumpfgebiet mitten im Moor. Die Erde ist dort besonders fruchtbar, es gibt reichlich Wasser, und die Hirse steht besonders dicht. Als Großmutters Sänfte diese Stelle erreichte, erhellte ein dunkelroter Blitz den nordöstlichen Himmel, und aprikosenfarbene Scherben von Sonnenlicht fielen klirrend durch die dichten Wolken auf den Feldweg. Die keuchenden Träger waren schweißüberströmt, als sie unter der drückenden Gewitterluft das Krötenloch betraten. Die Hirsepflanzen am Wegrand glänzten dicht und undurchdringlich wie Ebenholz. Unkraut und wilde Blumen wuchsen so dicht, dass sie die Straße zu versperren schienen. Wo immer man hinsah, standen schlanke Feldblumen zwischen dem üppigen Unkraut und ließen stolz ihre purpurfarbenen, blauen, rosafarbenen und weißen Blüten wehen. Aus der Tiefe der Hirse erklangen der melancholische Ruf der Kröten, das eintönige Zirpen der Heuschrecken und der klagende Ruf der Füchse. Plötzlich spürte Großmutter in ihrer Sänfte einen kühlen Luftzug und bekam eine Gänsehaut. Sie wusste nicht, was geschah, und war noch immer ahnungslos, als sie von vorne den Ruf hörte:
    «Hier kommt ihr nicht ohne Wegezoll vorbei!»
    Großmutters Atem stockte. War es Angst? War es Freude? Mein Gott, es ist ein Bandit, ein Mann, der Handkuchen isst!
    In der Gemeinde Nordost-Gaomi wimmelte es von Banditen, die sich in den Hirsefeldern so sicher fühlten wie Fische im Wasser. Sie schlossen sich zu Banden zusammen, um zu rauben, zu plündern und Menschen zu entführen, aber neben ihren bösen Taten vollbrachten sie auch gute Werke. Wenn sie Hunger hatten, überfielen sie zwei Leute, von denen sie einen bei sich behielten und den anderen ins Dorf schickten, um zwei Handspannen breite Brotfladen mit Eiern und grünen Zwiebeln zu verlangen. Weil sie die zusammengerollten Fladen mit beiden Händen in den Mund stopften, nannte man sie «Handkuchen».
    «Ohne Wegezoll kommt ihr hier nicht durch», brüllte der Mann. Die Träger blieben wie angewurzelt stehen und starrten den Straßenräuber an, der breitbeinig mitten auf dem Weg stand. Er war nicht besonders groß, hatte sein Gesicht schwarz bemalt und trug einen kegelförmigen Regenhut aus Hirsehalmen, einen offenen Regenmantel mit breiten Schultern, eine Jacke mit schwarzen Knöpfen und einen breiten Ledergürtel, in dem ein in rote Seide gehüllter Gegenstand steckte. Seine Hand lag auf dem verhüllten Gegenstand.
    Großmutter schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie nichts zu fürchten hatte. Wenn der Tod sie nicht schreckte, was gab es noch zu fürchten? Sie hob den Vorhang, um einen Blick auf den Mann zu werfen, der Handkuchen aß.
    «Zahlt mir Wegezoll, oder ich erschieße euch alle!» Er streichelte den Gegenstand in dem roten Bündel.
    Die Musiker griffen in ihre Gürtel, holten die Schnüre mit Kupfermünzen heraus, die Urgroßvater ihnen gegeben hatte, und warfen sie dem Mann vor die Füße. Die Träger setzten die Sänfte ab, holten ihre Kupfermünzen hervor und folgten dem Beispiel der Musiker.
    Er schob die Münzschnüre mit dem Fuß auf einen Haufen.
    Seine Augen waren starr auf Großmutter gerichtet, die in ihrer Sänfte saß.
    «Alle Mann hinter die Sänfte! Sonst schieße ich.» Er klopfte auf den Gegenstand in seinem Gürtel.
    Langsam versammelten sich die Träger hinter der Sänfte. Yu Zhan’ao, der als letzter ging, drehte sich um und warf dem Wegelagerer einen hasserfüllten Blick zu. Die Miene des Straßenräubers veränderte sich, und er klammerte sich an den Gegenstand in seinem Gürtel. «Die Augen geradeaus! Wenn du dich noch einmal umdrehst, bringe ich dich um!»
    Die Hand noch immer am Gürtel, näherte er sich

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